: Die Geschichten müssen raus aus ihm
Erster öffentlicher Auftritt nach der Freilassung: Deniz Yücel stellt im Festsaal Kreuzberg sein Buch „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ vor
Von Andreas Hartmann
Er kommt auf die Bühne und ist erst einmal sichtbar gerührt. Der Festsaal Kreuzberg ist ausverkauft, alle wollen Deniz Yücel sehen, vielleicht auch um wirklich begreifen zu können, dass er draußen ist aus dem türkischen Isolationsknast, und der wahrscheinlich berühmteste Journalist der Republik muss erst einmal, sichtbar gerührt, zugeben, dass er den Tränen mehr als nur sehr nahe ist.
Offiziell ist die Veranstaltung die Präsentation seines Buchs „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“, das während seiner Zeit im Knast entstanden ist. In Wahrheit ist es aber ein großer Dankeschön-Event an alle, die im letzten Jahr fleißig bei „Free Deniz“-Kampagnen für Erdoğans prominente Geisel auf Autokorsos gehupt haben oder für ihn aufgetreten sind.
Die Musikerin Christiane Rösinger ist hier, Frank Spilker, Sänger der Band Die Sterne, Katja Kipping von der Linken. Und am Ende der Lesung kommt noch eine Gestalt im Sweatshirt und einer Wollmütze auf dem Kopf auf die Bühne. Das ist angeblich Jan Böhmermann, kaum wiederzuerkennen in seinem Tarnlook, dem Deniz noch, bezugnehmend auf dessen Erdoğan-Schmähgedicht, spaßhaft hinterherwirft: „Böhmermann, wegen deinem schlechten Witz musste ich ein Jahr im türkischen Knast sitzen.“
Es ist ziemlich smart von Deniz, seinen ersten öffentlichen Auftritt nach seiner Freilassung in einem solchen Rahmen zu absolvieren. Markus Lanz, Sandra Maischberger, sicherlich alle im gehobenen Medienzirkus scharren mit den Hufen, um Deniz in ihre Sendungen zu bekommen. Er aber begibt sich erst einmal unter seine Leute, in die linksalternative Szene, aus der er kommt und zu der er auch als Journalist für die bürgerliche Welt immer noch gehört. Er wollte unbedingt in Kreuzberg seinen ersten Auftritt haben, sagt er, „hier, wo ich zwanzig Jahre gelebt habe“. Dass der Festsaal Kreuzberg gar nicht mehr in Kreuzberg ist: geschenkt.
Leute, die die „Welcome Deniz“-Party organisiert haben, berichten, es sei so gut wie nicht möglich gewesen, einen strukturierten Ablauf mit dem Star des Abends zu organisieren. Zu wuselig sei der, zu wenig bereit, sich durch irgendwelche Planungen die eben erst gewonnene totale Freiheit auch nur ein Stückchen wieder nehmen zu lassen.
Auch taz-Redakteurin Doris Akrap, die zum Gesicht der „Free Deniz“-Bewegung geworden ist und durch den Abend moderiert, muss schnell erkennen, dass Deniz, als er dann beginnt, Texte zu lesen und dazwischen immer wieder von seinen Knasterfahrungen berichtet, einfach nicht mehr abzustellen ist. Noch ein Text, noch eine Anekdote, noch ein Witz, immer weiter, typisch Deniz. „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“, betont er noch einmal.
Manche Geschichten hören sich schon fast wie Klassiker an: dass seine Frau die ganze Arbeit hatte, während er nur dumm rumsaß im Knast, dass sie etwa mit der Kanzlerin Kaffee trinken oder ihm frische Socken in den Knast bringen musste. Die Sache mit dem Petersilienstrauß, dem Verbot, im Knast auch nur das kleinste Bild irgendwo anzubringen, alles, was er bereits in Zeitungsinterviews erzählt hatte, wurde noch einmal kurz angerissen. All diese Geschichten müssen sichtbar raus aus ihm, noch einmal und immer wieder, und das ist ja auch nur zu verständlich.
Aus dem anfangs noch so emotional bewegten Mann wird nach einer Weile also schnell wieder der alte Deniz, der den Trubel um seine Person sichtbar genießt. „Ja, es geht mir gut“, sagt er, vielleicht stimmt das sogar, an diesem Abend sieht es jedenfalls ganz so aus.
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