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„Unsere“ Obdachlosen und die aus Osteuropa

Für Hamburgs Behörden spielt die Nationalität von Obdachlosen zunehmend eine Rolle, auch beim Zutritt zum Winternotprogramm. Letzten Endes geht es um die Frage, wer die Kosten für die Obdachlosen übernimmt, die aus anderen EU-Ländern kommen

Schlafen hier Osteuropäer? Oder Deutsche? Obdachlos sind sie alleFoto: Hartmuth Bendig

Von André Zuschlag

Seit Anfang dieser Woche zählt Hamburg seine Obdachlosen. Seit Montag sind Streetworker*innen und Sozialarbeiter*innen im Auftrag der Sozialbehörde auf den Straßen unterwegs, um sie zur freiwilligen Teilnahme an der Umfrage zu bewegen. Herausgefunden werden sollen Alter, Geschlecht und Nationalität. Denn die Sozialbehörde geht von deutlich mehr osteuropäischen Obdachlosen aus als bisher angenommen. „Die letzte Erhebung stammt aus dem Jahr 2009, der Anteil osteuropäischer Obdachloser ist seit der EU-weiten Freizügigkeit 2011 aber stark gestiegen“, sagte Behördensprecher Marcel Schweitzer zu Beginn der Zählung.

Die Umfrage fällt in eine Zeit, in der bundesweit über die Konkurrenz zwischen einheimischen und ausländischen Bedürftigen debattiert wird – zuvorderst anhand der Entscheidung der Essener Tafel, einen Aufnahmestopp für nichtdeutsche BesucherInnen zu erlassen. Dass die Umfrage, wenngleich sie wegen ihrer freiwilligen Teilnahme nicht einmal repräsentativ sein wird, auch dazu genutzt werden dürfte, (ausländische) Arme gegen (deutsche) Arme auszuspielen, ist für die Sozialbehörde kein Thema. Statt über das Grundproblem, also die Obdachlosigkeit, zu diskutieren, geht es um die Nationalität der Bedürftigen.

Insgesamt gehen Hamburgs Behörden bereits seit Anfang letzten Jahres härter gegen obdachlose EU-Ausländer*innen vor. Sie machen sich dabei zunutze, dass das Freizügigkeitsrecht erlischt, wenn man mehr als drei Monate lang obdachlos ist – dann stehe fest, dass man seinen Lebensunterhalt nicht mehr allein bewerkstelligen könne, und müsse dementsprechend ausreisen, so die Argumentation. Schätzungsweise 2.000 Obdachlose gibt es in Hamburg, manche vermuten sogar deutlich mehr. Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim Obdachlosenmagazin Hinz & Kunzt, sagt, der Anteil der Obdachlosen etwa aus Polen, Bulgarien und Rumänien liege derzeit bei rund 75 Prozent. Und nun?

Rund 500 obdachlose EU-Ausländer*innen wurden voriges Jahr aufgefordert, bei der Zentralen Ausländerbehörde in Hamburg vorzusprechen. Haben sie im Pass eine Melde­adresse im EU-Ausland stehen, gilt die Person nicht mehr als „unfreiwillig“ obdachlos. Wie Hinz & Kunzt kritisiert, versuchen die Behörden dann, die Obdachlosen mit finanzierten Fahrkarten zu einer Rückkehr zu bewegen. Auch können die Behörden feststellen, dass das Aufenthaltsrecht verwirkt ist und eine Abschiebung anordnen – was auch schon mehrfach vorgekommen ist.

Übernächste Woche endet das Winternotprogramm. Seit Anfang November hatte die Stadt rund 800 zusätzliche Schlafplätze zur Verfügung gestellt. Auf ihrer Homepage schreibt die Behörde: „Im Winter muss niemand auf der Straße übernachten!“ Dass die Schlafplätze nur für Obdachlose mit deutschem Pass sind, weist die Sozialbehörde vehement von sich. „Im Winternotprogramm wird niemand abgewiesen – erst Recht nicht wegen seiner Nationalität. Die Behauptung ist falsch“, sagt Sprecher Schweitzer. Auch würde es am Eingang keinerlei Personalausweiskontrollen geben. Demgegenüber haben osteuropäische Obdachlose mehrfach behauptet, dass es diesen Winter sehr wohl Ausweiskon­trollen und auch Abweisungen in den Notunterkünften gegeben habe.

Diese Darstellung unterstützt auch der Filmemacher Andrej Schwartz, der vorletztes Jahr für seinen Dokumentarfilm „Am Rande“ in Hamburgs Winternotunterkünften unterwegs war. „Ich bin in der Unterkunft am Schaarsteinweg unzählige Male Augenzeuge von Ausweiskontrollen gewesen“, sagt Schwartz. Neben der dortigen Unterkunft gibt es in der Friesenstraße eine zweite. Auch damals behauptete die Sozialbehörde, dass das Winternotprogramm von Obdachlosen anonym, also ohne Vorzeigen des Personalausweises, genutzt werden könne. Schwartz hat nach eigenen Angaben seitdem ein Hausverbot für die Notunterkünfte.

Ab in die Wärmestube

Flächendeckend und grundsätzlich scheinen Ausweiskontrollen und Abweisungen nicht zu sein, das genaue Gegenteil ist aber wohl auch nicht der Fall. Stephan Karrenbauer von Hinz & Kunzt erklärt: „Zwar werden alle erst mal reingelassen, aber nach zwei, drei Tagen werden diejenigen aus Osteuropa gezielt angesprochen.“ Dann würden sie in eine Wärmestube geschickt, in der es keine Betten gibt. Erfrieren muss dort niemand, nur schlafen ist dort nicht erlaubt.

Am Ende ist es für die Stadt auch eine Frage des Geldes. Bei Obdachlosen mit ausländischen Pass, die nicht krankenversichert sind, kommt die Sozialbehörde für die Kosten medizinischer Notfallversorgungen auf. „Hier beginnt das Dilemma“, sagt Behördensprecher Schweitzer. Laut Gesetz hätten diese Personen eigentlich kein Anrecht da­rauf, höchstens auf eine Rückfahrkarte.

Karrenbauer spricht von der „Erzeugung einer Zweiklassengesellschaft in ‚unsere‘ Obdachlosen und die aus Osteuropa“. In dieser Schärfe gebe es das erst seit letztem Jahr.

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