„Ich arbeite doch nicht, um gesammelt zu werden“

In Côte d‘Ivoire ist der erste Henrike-Grohs-Preis für afrikanische Künstler verliehen worden – an den Kameruner Sound- und Medienkünstler Em‘kal Eyongakpa, einen besessenen Audio-Archivar

Das Wichtigste an seinen Installationen ist der Sound: Em‘kal Eyongakpa Foto: Privat

Von Mounia Meiborg

Em’kal Eyongakpa sieht man selten ohne seine Kopfhörer. Er trägt sie auf dem Kopf, in der Hand oder in einem Leinenbeutel. Ein Plastikbügel mit zwei grauen Muscheln – sein Tor zu einer Welt, die nicht von Bildern, sondern von Klängen bestimmt ist.

Gerade hat er den Henrike-Grohs-Preis für afrikanische Künstler gewonnen. Zum ersten Mal wurde der Preis in Abidjan, der Hauptstadt der Côte d’Ivoire, vergeben. Gestiftet wird er vom Goethe-Institut und der Familie von Henrike Grohs, der Leiterin des Goethe-Instituts Abi­djan, die vor zwei Jahren bei einem islamistischen Anschlag in Grand-Bassam, einer Hafenstadt in der Nähe von Abidjan, getötet wurde. Die Auszeichnung will ihr Lebenswerk, die Förderung afrikanischer Künstler, fortführen.

Eine prominent besetzte Jury hatte drei Kandidaten nominiert; neben Eyongakpa den Bildhauer Makouvia Kokou Ferdinand aus Togo und Georgina Maxim aus Simbabwe, die in ihren textilen Arbeiten Frauenrollen, Sexualität und Identitätsfragen untersucht. Mit 20.000 Euro ist der Preis dotiert. Er fülle eine wichtige Lücke, sagt die Jurorin Koyo Kouoh, die mit der Raw Material Company in Dakar ein wichtiges Kunstzentrum auf dem Kontinent gegründet hat. Es gebe schlicht kaum Preise für afrikanische Künstler in dieser Größenordnung. Gut honorierte Preise seien aber wichtig, um ihnen eine Existenz zu sichern – und so unabhängiges künstlerisches Schaffen möglich zu machen.

Nun hat die Wahl der Jury einen Künstler getroffen, der gar kein „richtiger“ bildender Künstler sein will. Weil er sich mehr für Klänge als für Bilder interessiert. Und weil er trotz seines Erfolgs mit dem Kunstbetrieb fremdelt. In Abidjan, am Abend der Preisverleihung, leidet er sichtlich unter der Aufmerksamkeit. Ständig raten ihm Leute, er solle sich einen Galeristen suchen. „Aber ich arbeite doch nicht, um gesammelt zu werden“, sagt er. Lieber improvisiert er mit Freunden in dem Tonstudio, das er kürzlich eingerichtet hat.

Geboren wurde Em’kal Eyon­gakpa 1981 im südwestlichen Kamerun, einer Region namens Ambazonia, die zum großen Teil aus Regenwald besteht. Zurzeit herrschen dort kriegsähnliche Zustände. Seit eineinhalb Jahren demonstrieren Menschen verstärkt für die Unabhängigkeit der Region, Soldaten gehen brutal gegen sie vor. Eyongakpa fürchtet sich davor, zurückzukehren. Sechs gute Freunde hat er in den letzten Monaten verloren. Deshalb ist er nach einem Residenzprogramm erst mal in Amsterdam geblieben. Die vergangenen Monate haben Spuren hinterlassen: Fremden gegenüber ist Eyongakpa misstrauisch. Mit Journalisten möchte er am liebsten überhaupt nicht sprechen. Es geht etwas Trauriges von ihm aus; er wirkt aufgewühlt und manchmal abwesend. Kein Wunder, er weiß nicht, ob seine Familie in Sicherheit ist.

Seine Kunst ist für ihn eine logische Folge seiner Herkunft. Die frühesten Erinnerungen aus seiner Kindheit sind akustische; von den Beerdigungsritualen, die sein Großvater, ein bekannter Heiler, praktizierte. Noch heute rufen Klänge bei ihm manchmal so intensive Erinnerungen wach, dass es ihm fast unheimlich ist. Der afrikanische Kontinent sei von oralen und akustischen Traditionen geprägt, erzählt er. Die visuelle Kunst, um die sich europäische Galerien und Ausstellungshäuser derzeit reißen, kommt ihm deshalb in gewisser Weise künstlich vor.

Angefangen hat er als Hiphop-Musiker. Später hat er Botanik studiert, was man seinen multimedialen Installationen auch ansieht. Aus natürlichen Materialien wie Treibholz, Pflanzenfasern oder Heu formt er Skulpturen, die mal an eine riesige Libelle, mal an ein Vogelnest erinnern. Dazu gibt es Videos. Und Sound, den er zum Teil live erzeugt und mit bis zu 20 Lautsprechern zu einem Klangerlebnis im Raum arrangiert. Das physische Erleben der Akustik ist ihm wichtig: Bässe wummern, bis einem flau im Magen wird. Wasser tropft so ausdauernd, dass es zur Folter wird. Wie in seinem Werk „Untitled thirty-seven (sǒbàtú)“, das er im vergangenen Jahr auf der Biennale in Jakarta zeigte. Aufnahmen aus einer historischen Gefängniszelle in Indonesien kombinierte er darin mit Reden schwarzer Freiheitskämpfer.

Die visuelle Kunst aus Afrika, um die sich europäische Galerien und Ausstellungshäuser derzeit reißen, kommt ihm künstlich vor

Kollektive Geschichte ist ein wichtiges Thema seiner Arbeit. Vor allem Kolonialisierung, postkoloniale Gesellschaften und die Fortsetzung von Gewalt beschäftigen ihn. Er würde gerne einmal mit dem Selbstbewusstsein von jemandem komponieren, der nie kolonialisiert und unterdrückt wurde, sagt er. Sein Großvater, der nie eine Schule besucht hat, habe ein solches Selbstbewusstsein besessen. Die „kanonisierte eurozentristische Geschichtsschreibung“ zu bekämpfen interessiert ihn aber nicht. „Ich kümmere mich lieber um alternative Erzählungen aus Quellen, denen ich mehr vertraue.“ Das sind zum Beispiel die in Westafrika verbreiteten Juju-Praktiken, religiöse Rituale, die mit Magie und Schamanismus zu tun haben.

Rituell wirken seine Arbeiten auch deshalb, weil er viel mit Wiederholung arbeitet – bis sich Klänge transformieren und sich beim Besucher manchmal eine Art Trance einstellt. Ob im Regenwald, auf der Straße oder auf belebten Märkten: Überall installiert er Kontaktmikrofone für seine Aufnahmen. Dazu muss er die Menschen am Ort erst einmal kennenlernen. „Sie müssen mich als einen von ihnen akzeptieren“, sagt er. Nur wenn er in der Menge verschwindet, entstehen authentische Aufnahmen. Wie ein Ethnologe bewegt er sich im Feld – ein Audio-Archivar, der aus seinem Material allerdings eigene Klangwelten erschafft.

Er untersucht zum Beispiel, wie Sounds von Handys und anderen technischen Geräten Klänge aus der Natur nachahmen. Oder wie der Rhythmus einer Sprache den Rhythmus der dortigen Musik prägt – und umgekehrt. So arbeitet Em’kal Eyongakpa Schritt für Schritt an seinem Traum: dem afrikanischen Kontinent ein akustisches Denkmal zu setzen.