Schön wie der Titanwurz

Angela Merkel ist eine machtbewusste Pflanze, die im Verborgenen blüht und ab und zu Bulette isst. Dafür gewinnen ihr besonders Medienmenschen Respekt ab: „Die Kandidatin“, 21.45 Uhr in der ARD

Aus „Kohls Mädchen“ ist „Mutter Courage“ geworden, meinendie Autorinnen

VON DAVID DENK

Nach dem Dreh in ihrer Heimatstadt Templin hat Angela Merkel noch mit dem NDR-Team Pommes gegessen. Hinter der Bude, vor der sie gerade noch für die Kamera posierte, in der Hand eine polnische Senfflasche. „Beim Bulette-Essen filmen durften wir sie natürlich nicht“, sagt Hanni Hüsch, die mit ihren Koautorinnen Gesine Enwaldt und Christiane Justus auch versucht hat, sich in Merkels Datsche einzuladen, ihren Mann zu treffen, gemeinsam zu kochen – alles natürlich vergeblich.

Heute läuft ihr trotzdem überaus sehenswertes Merkel-Porträt, kommenden Donnerstag ein SWR-Film über den Kanzler. Man kann sich gut vorstellen, wie Schröder den Dreh an der Pommesbude zur Gerd-Show gemacht hätte. Mit Flasche Bier und Würstchenmann-Plausch. Merkel dagegen fragt nach Buletten. Es hört sich an, als bestelle sie ein nigerianisches Nationalgericht. Nimmt die Senfflasche in die Hand und sagt: „Ich kann ja mal die Senfflasche in die Hand nehmen.“

Regisseur Volker Schlöndorff, einer von vielen Freunden, Weggefährten und Gegnern, die im Film zu Wort kommen, beschreibt Merkel als „sehr scheu, auch in der Freundschaft. Ich glaube, das ist einfach ihre Persönlichkeit: diese Zurückhaltung und dass sie das auch beibehält bei ihren politischen Auftritten.“

Wie erstaunlich viele Medienmenschen im Moment, macht auch Hanni Hüsch keinen Hehl aus ihrer Sympathie dafür: „Ich finde diesen Rest Misstrauen von Merkel gegenüber Journalisten nicht unangenehm.“ Das andere Extrem, der Medien- und Kumpelkanzler Gerhard Schröder, regiert schließlich noch.

Behutsam tastend spüren die Autorinnen Merkels Andersartigkeit nach: in ihrer Jugend („FDJ und Konfirmation“), im Verhältnis zu ihren Mitschülern („Ich hatte immer den missionarischen Eifer, dass sie auch verstanden haben, was sie da abschreiben“), in ihrer Arbeitsweise („die Akribie der Physikerin“) – und natürlich auch im Verhältnis zu den Medien.

Fotograf Dieter Bauer hält sie für so fotogen wie den Titanwurz, „der nur alle fünf Jahre mal aufgeht“ und blüht. Und Blechtrommler Schlöndorff nennt sie unter filmerischen Gesichtspunkten eine glatte Fehlbesetzung als Bundeskanzlerin.

Diesen Oberflächlichkeiten zum Trotz wird Angela Merkel wohl die erste Regierungschefin in der deutschen Geschichte werden – und dabei immer mehr Rätsel bleiben, als es Schröder je war. „Sie mag Macht“, sagt ihre Parteifreundin Annette Schavan. So sehr, dass noch nicht mal die Bayernschwester CSU oder die Ränkespiele der verschworenen CDU-Ministerpräsidenten sie aufhalten konnten. Stattdessen macht sie sich kühl kalkuliert einfach deren Eitelkeit zunutze. „Sie kann diese Front nur aufbrechen, indem sie immer mal versucht, die Jungs gegeneinander auszuspielen“, beschreibt der Journalist Hajo Schumacher, der an einer Doktorarbeit über Merkel sitzt, ihren dem Alten Rom entliehenen Führungsstil: Divide et impera, teile und herrsche.

Aus „Kohls Mädchen“ sei „Mutter Courage“ geworden, kommentieren die Autorinnen ihre Wahl zur CDU-Vorsitzenden anerkennend. Und schon rutscht aufs Stichwort „falsches, klebriges Lob“ Edmund Stoiber ins Bild und gratuliert. Die Souveränität, mit der sie Stoibers Hyänenhaftigkeit über sich ergehen lässt, ist bewundernswert.

Zurück an der Pommesbude: Angela Merkel entdeckt die Herkunft der Senfflasche und sinnt darüber nach, dass sie auf Polnisch nur „keine Eier“ sagen kann, sonst nichts. Unterschwellige Kritik an Stoibers Opportunismus oder gar eine verbitterte Abrechnung mit der Männerwelt? Nein, Merkel denkt wohl wirklich nur an Hühnereier. Das ist ihre Stärke – die Ironie überlässt sie anderen.

Wiederholung: 15. 9., 23.15 Uhr, SWR. Am 18. 9. läuft „Der Kanzler – Gerhard Schröder“ um 21.45 Uhr in der ARD