Goethes Rätsel neu gestellt

In seiner ersten Inszenierung am Bremer Theater verwandelt Stephan Kimmig Goethes Roman „Wahlverwandtschaften“ in grell-modernes Musiktheater. Ein Experiment, das sich lohnt

Von Teresa Wolny

Drei Jugendliche mit Hornbrille und Pullunder sitzen stumm am Bühnenrand und scheinen das Stück zu protokollieren. Erst am Ende werden sie tätig: stehen auf und verbeugen sich mit dem Ensemble. Was das bedeutet, ist unklar – und nur eine von vielen offenen Fragen in dieser freien (sehr freien) Adaption von Goethes Roman „Wahlverwandtschaften“, der bereits damals als eines der rätselhaftesten Werke des Dichters galt. Regisseur Stephan Kimmig hat mit dem Text von Armin Petras unter der musikalischen Leitung von Clemens Heil und Ali Schmitt ein grell-modernes Musiktheater geschaffen und die Romanhandlung dabei vom 19. ins 21. Jahrhundert übertragen.

Doch auch hier ziehen sich Eduard und Charlotte aufs Land zurück. Dort wird die Idylle durch die Ankunft anderer unterbrochen: Eduards Bruder Otto (der als Einziger nur sprechende Robin Sondermann) und Charlottes Exstieftocher Tilly. Alle verlieben sich über Kreuz in den oder die Falsche und der gefundene Kompromiss ist zwar nicht zufriedenstellend, aber immerhin nicht ganz so tödlich wie in Goethes Originaltext.

Das Bühnenbild von Katja Haß, ein weißer Pavillon, der tief in die Bühne hineingeht, ergänzt als Provisorium die Suche der Figuren nach dem glücklichen Leben. Oder überhaupt irgendeinem Ziel, wie Charlotte auf den Punkt bringt: „Ich hab alles / vielleicht zu viel / vielleicht ist es das“. In Videoarbeiten von Rebecca Riedel werden zur Untermalung sexuell aufgeladener Dialoge live und lasziv Avocados zermatscht und Erdbeeren aufgeschnitten oder die Darsteller ziellos durchs Wasser schwimmend gezeigt.

Dass die Noten nach Aussage der Komponisten Thomas Kürstner und Sebastian Vogel „nur zur Orientierung dienen“, unterstreicht den Bruch zum Operngenre, das jedoch im großartigen Gesang von Patrick Zielke und Nadine Lehner als Charlotte noch zum Vorschein kommt. In der Musik fließen alle möglichen Stilrichtungen bis zum Pop zusammen, schon optisch wird die Lässigkeit mit der bunten Alltagskleidung der Bremer Philharmoniker untermauert.

Sa, 4. 3.,15.30 Uhr, Theater Bremen; weitere Termine: 15. 3., 19.30 Uhr + 30. 3., 18 Uhr