: Team ohne Grätsche
Wolfsburg gerät nach dem 0:3 gegen Hoffenheim immer mehrin Bedrängnis. Es fehlen die Spielertypen für den Abstiegskampf
Aus SinsheimTobias Schächter
Divock Origi wirkte ziemlich ungläubig. Werde ich wirklich jetzt, drei Minuten vor der Halbzeitpause, ausgewechselt, schien sich der Stürmer des VfL Wolfsburg zu fragen. Kurz vor dem Halbzeitpfiff ausgewechselt zu werden, ist Höchststrafe für einen Profi. Normalerweise verändern Trainer zu diesem Zeitpunkt nur verletzungsbedingt ihr Personal oder wenn ein Spieler vor einem Platzverweis steht. Aber Origi war weder verletzt noch gelb-rot gefährdet. Wie auch, der Belgier hatte ja keinen Zweikampf geführt. Aber das hatte der 22-Jährige mit den meisten seiner Mitspieler gemein während dieses desolaten Auftritts des VfL in Hoffenheim. Dass die Gastgeber nur 1:0 führten, war ein Witz, 4:0 wäre aus Hoffenheimer Sicht ein angemesseneres Ergebnis zum Zeitpunkt der Auswechslung gewesen. Wolfsburgs Trainer Bruno Labbadia erzählte hinterher, er habe mit sich gekämpft, aber dann doch diese „unliebsame Auswechslung“ noch vor der Pause getätigt.
Labbadia weiß natürlich, dass er durch diese Maßnahme Gefahr läuft, einen Spieler vorzeitig zu verlieren, dessen Leihvertrag mit dem FC Liverpool am Ende der Saison ohnehin ausläuft. Der für Origi gekommene Josip Brekalo musste übrigens schon zehn Minuten später mit Verdacht auf Gehirnerschütterung wieder runter – und am Ende verlor der VfL 0:3. Es stimmt schon: Die Leistung von Divock Origi wird von Woche zu Woche schlechter. Mario Gomez im Winter zum VfB Stuttgart, einem Konkurrenten im Abstiegskampf, ziehen zu lassen und im Sturmzentrum auf Origi zu setzen, wirkt immer grotesker. Seltsam äußerte sich VfL-Sportdirektor Olaf Rebbe zur Leistung Origis: „Das war nicht das, was wir mit ihm unter der Woche vereinbart haben“, meinte er kryptisch. Ansonsten kamen dem viel kritisierten Sportchef nur Durchhalteparolen über die Lippen. In Wolfsburg wirken derzeit alle hilflos: die Spieler, der Sportdirektor und der Trainer. Bruno Labbadia, nach Andries Jonker und Martin Schmidt bereits der dritte Chefcoach des VfL in dieser Saison. Dem ehemaligen Mittelstürmer eilt als Trainer der Ruf voraus, noch nie abgestiegen zu sein. Aber auch der des ungeduldigen Pedanten. Wolfsburgs Fans glauben nicht an ihn, manche verhöhnten Labbadia bereits nach dem 1:2 beim Heimdebüt gegen Leverkusen. Und nach drei Spielen mit nur einem Punktgewinn stehen die Wolfsburger nur noch aufgrund des besseren Torverhältnisses vor dem FSV Mainz 05, der auf Relegationsplatz 16 liegt. Zur Erinnerung: In der letzten Saison schaffte Wolfsburg nur über die Relegation den Klassenerhalt, ein Jahr später steckt die vom Mutterkonzern üppig alimentierte VW-Tochter erneut im Abstiegsschlamassel.
Bruno Labbadia macht sich keine Illusionen, nach seinem Einstieg vor zwei Wochen beim 1:1 in Mainz hatte er bereits konstatiert: „Ich weiß, dass wir keine Mannschaft für den Abstiegskampf haben. Wir müssen mehr dagegenhalten. Das müssen wir hinbekommen, obwohl wir nicht die Spielertypen dafür haben.“ Nach der Pleite in Hoffenheim erklärte er: „Wenn man über das Fußballspielen kommt, verliert man eher das Selbstvertrauen, als wenn man über das Zweikampfverhalten kommt. Das Problem dieser Mannschaft ist, dass viele Spieler über das Fußballspielen kommen, da kann man jetzt nicht anfangen rumzugrätschen.“
Also was tun? „Ruhe bewahren“, will Labbadia. Und: „Klar bleiben.“ Wer das Grätschen nicht beherrsche, so der Fußballlehrer, müsse über Ordnung und mannschaftliche Geschlossenheit kommen. Doch in Hoffenheim genügte ein Gegentor, und die Elf verlor sofort Ordnung und Vertrauen. Nein, mannschaftliche Geschlossenheit und der VfL Wolfsburg haben eher wenig miteinander zu tun. Zum VfL wechseln die Spieler des Geldes wegen, Identifikation mit Klub und Stadt fallen deshalb in Krisenzeiten schwer. Dass die Erkenntnis jedes Jahr aufs Neue zutrifft, ist ein Armutszeugnis für die Macher beim VfL Wolfsburg.
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