: Der lange Arm der Autokraten
Autoritäre Staaten missbrauchen immer häufiger Interpol, um Kritiker unter Druck zu setzen
Abgeschirmt durch hohe Eisengitter sitzt die Zentrale von Interpol in einem modernen Glasbau in Lyon. Die mit 192 Mitgliedsstaaten größte internationale Polizeiorganisation wurde 1923 in Wien gegründet, um den Austausch von Informationen und Fahndungsmeldungen über Landesgrenzen zu ermöglichen. Dabei funktioniert Interpol wie eine globale Datenbank, ohne selbst Ermittlungen durchzuführen oder Straftäter festzusetzen. Präsident von Interpol ist seit 2016 der Chinese Meng Hongwei. Den wichtigen Posten des Generalsekretärs hat derzeit der Deutsche Jürgen Stock inne, der bis Anfang November 2014 Vizepräsident beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden war.
Das wichtigste Mittel von Interpol sind sogenannte Red Notices (Rote Ausschreibungen), die jeder Mitgliedsstaat relativ leicht beantragen kann. Mit ihnen sollen mutmaßliche Straftäter im Ausland aufgespürt und ausgeliefert werden. Dazu werden Name, Foto sowie weitere Informationen über den Gesuchten in die Interpol-Datenbank eingespeist und gelangen von dort weiter weltweit in Polizeicomputer. Bei Grenz- oder Personenkontrollen schlägt das System Alarm. Grundlage für eine Red Notice, die normalerweise mit einem Festnahmeersuchen verbunden ist, ist immer ein nationaler Haftbefehl. Ob ein Land dem Ersuchen um Festnahme oder Auslieferung nachkommt, entscheidet jeder Staat nach eigenem Ermessen.
Seit einigen Jahren wächst jedoch die Kritik an Interpol. Nicht nur landen immer mehr Menschen auf den Interpol-Listen: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Red Notices mehr als verdreifacht – auf 52.103 (Ende 2017). Dazu kommen 109.346 sogenannte Durchgaben, mit denen Staaten Fahndungsmeldungen über Interpol an einzelne Länder schicken. Autoritäre Staaten missbrauchen Interpol deshalb auch immer häufiger, um unliebsame Kritiker zu drangsalieren und mundtot zu machen – und sei es eben per Haftbefehl.
Vergangenes Jahr etwa wurde der deutsch-türkische Schriftsteller Doğan Akhanlı im Urlaub in Spanien festgenommen. Er ist einer von Dutzenden KurdInnen, JournalistInnen und oppositionellen Stimmen, die Ankara mit über Red Notices suchen lässt. Auch Russland, Venezuela, Iran, China und andere meist autoritäre Staaten missbrauchen nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen systematisch Interpol, um gegen unliebsame Kritiker vorzugehen. Diese Staaten würden so ihre „Unterdrückung exportieren“, warnt die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin.
Zwar verbieten Interpols Statuten explizit, Suchmeldungen aus „politischen, militärischen, religiösen oder ethischen“ Gründen zu stellen. In Lyon hat man es Staaten jedoch lange sehr einfach gemacht, das System zu missbrauchen. Kontrollen gab es kaum. Die einzige Beschwerdestelle war hoffnungslos unterbesetzt.
Mittlerweile hat Interpol vorsichtige Reformen angestoßen und zumindest die formale Überprüfung der Suchmeldungen verstärkt. Nach Ansicht der Kritiker reicht das nicht. Interpol, das juristisch als Verein firmiert und keinen völkerrechtlichen Kontrollen unterliegt, fehle es grundsätzlich an Transparenz. Sie fordern deshalb einen unabhängigen Kontrollmechanismus und Sanktionen gegen jene Staaten, die das heutige System weiterhin missbrauchen. Harald Maass
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