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„Eine Beziehungs-auffrischung mit Gott“

Verzicht kann glücklich machen, sagt die Theologin. Allerdings nicht der auf Liebe

Foto: privat

taz am wochenende: Frau Bammel, Fasten wird offenbar beliebter. Wie ist das passiert?

Christina-Maria Bammel: Ich glaube, dass aktuell das Bedürfnis wächst, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Sich Zeiträume zu schaffen, in denen man sich auf die eigentlichen Lebens- und Beziehungsfragen einlässt. Und auch auf Gottesbeziehungsfragen. Man sieht das auch daran, dass sich kirchliche Aktionen – wie „Sieben Wochen ohne“ – immer beliebter werden.

Warum fasten wir eigentlich jetzt?

Es ist die Zeit vor dem Auferstehungsfest, dem wichtigsten Fest der Kirche. Und die Fastenzeit umfasst die 40 Tage vor Ostern, von Aschermittwoch bis in die Nacht zum Ostersonntag.

Moment: Von Aschermittwoch bis Ostersonntag sind es doch gar nicht 40, sondern 46 Tage?

Die Sonntage werden abgezogen, denn da wird das Fasten unterbrochen. Das sind bereits kleine Osterfeste, wenn Sie so wollen.

Aber wieso 40 Tage? Und nicht 50 oder 100?

Es gibt verschiedene biblische Geschichten, auf die sich das Fasten zurückführen lässt. Die Einwohner von Ninive hatten 40 Tage Zeit, ihren falschen Weg zu bedenken, die Sintflut dauerte 40 Tage. Und Matthäus, Lukas und Markus erzählen, dass Jesus sich in die Wüste zurückgezogen hat, um sich zu sammeln und zu konzentrieren. Dort hat er 40 Tage und Nächte lang nichts gegessen.

Gibt es die Fastentradition in der christlichen Kirche schon immer?

Ein altes religiöses Element! Wir finden es seit den Anfängen des Christentums und sogar noch davor: Auch das Alte Testament, die hebräische Bibel, und das jüdische Glaubensleben sind von Fastenritualen geprägt. Schon damals war es eine Aktion, um sich auf Gott vorzubereiten. Über die Jahrhunderte ist das Fasten dann durch unterschiedliche Formen gegangen, in der mittelalterlichen Zeit wurde es beispielsweise eher zur Bußhandlung und auch missverstanden als ein Gnädigstimmen des Himmels. Gegen ein solches Verständnis hat sich Martin Luther gewendet, und so wurde in der evangelischen Kirche hier und da die Fastentradition vernachlässigt. Das ändert sich seit einiger Zeit wieder.

Welche Funktion hat das Fasten für die Menschen?

Grundsätzlich sollte es in der Zeit vor Ostern nicht bloß darum gehen, aus falschem Ehrgeiz heraus bestimmte Substanzen wegzulassen, sondern mit sich selbst in eine neue Beziehung zu kommen. Es ist, wenn Sie so wollen, ein geistliches Fokustraining, eine Beziehungsauffrischung mit Gott. Bei dieser Beziehungsauffrischung hilft, dass man sich auf Wesentliches konzentriert und dafür lässt man vielleicht ein paar Dinge, auch Gewohnheiten, weg im Leben. Allerdings lernen die meisten Menschen ja besser mehr durch ein Ja als durch ein Nein. Deswegen ist dieses „ohne“ nur die eine Seite beim Fasten.

Was wäre denn ein „mit“?

Genau, man kann es auch positiv wenden. Was kann ich denn verstärken in diesen sieben Wochen? Deswegen legen die kirchlichen Fastenaktionen Wert darauf, dass man es auch positiv formuliert: also mit mehr Gelassenheit, mit mehr Offenheit für neue Projekte oder Begegnungen vielleicht auch wie in der aktuellen Aktion – mit mehr Mut, „sich zu zeigen“ in heiklen Situationen, wenn meine Hilfe und Stimme nötig ist.

Können Sie konkrete Tipps geben, wie man es mit dem Fasten richtig angeht?

Ein wichtiger Vorsatz ist, mit sich selbst auch barmherzig zu sein. Und zu sagen: Es gibt Regeln, aber es gibt auch immer Ausnahmen von den Regeln. Wie der Sonntag, an dem das Fasten unterbrochen werden kann. Denn es ist ja anthropologisch etwas sehr Weises, wenn man sich Pausenzeiten gönnt, wenn man sich nicht überfordert. Denn Gottes Augen sehen uns auch mit Nachsicht und Barmherzigkeit.

Umgekehrt: Kann man denn auch Fehler machen? Wie würde man es komplett falsch angehen?

Falsch wäre der Gedanke, mit dem Fasten eine göttliche Instanz zu irgendetwas zwingen zu wollen. Beziehungsweise wenn man überhaupt irgendetwas mit dem Fasten herbeizwingen wollte. Ich glaube, das würde das Anliegen des Fastens überfordern. Falsch ist außerdem alles, was Grenzen überschreitet, die Leib, Leben und Seele gefährden. Das ist nicht gewollt von unserem Schöpfer.

Macht Verzicht glücklich?

Kommt darauf an, worauf man verzichtet. Wenn man auf die ein oder andere materielle Sache verzichtet, können sich ganz neue Glücksräume öffnen. Aber wenn man auf Liebe verzichtet, dann macht das nicht glücklich. Es gibt Dinge, die zum menschlichen Leben wirklich nötig sind, und dazu gehören Zuwendung, Achtung, Anerkennung und Aufmerksamkeit, Gehört- und Gesehenwerden. Darauf kann man nicht einfach so verzichten.

Christina-Maria Bammel, 44, ist ordinierte Theologin und leitet das Referat Kirchliches Leben in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

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