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Fußballweisheiten im eiskalten Raum

Hans Neuenfels hat für die Staatsoper „Salome“ von Richard Strauss neu inszeniert, Oscar Wilde kehrt in die Gegenwart zurück

Von Niklaus Hablützel

Jürgen Flimm durfte mal wieder vor den roten Vorhang treten. Er macht das sehr gern, und es war auch am Sonntagabend wieder ein Vergnügen, dem Altmeister des Theaters und bekennenden Fußballliebhaber zuzuhören. Im April wird er die Leitung der Staatsoper an seinen Nachfolger abgeben. Man wird seinen Schalk vermissen. Es war diesmal nämlich wie auf dem Rasen: „Wenn du schon kein Glück hast, kommt auch noch Pech dazu.“

Ein großer Dirigent fiel aus, dann auch noch ein zweiter Dirigent, diesmal ohne das Adjektiv „groß“. Namen nannte Flimm nicht. Sie sind bekannt genug: Zubin Mehta sagte wegen Krankheit ab, sein Ersatz Christoph von Dohnányi schmiss hin wegen „künstlerischer Differenzen“ mit der Regie. So stand es in der überaus knappen Pressemitteilung der Staatsoper vom Donnerstag. Worin die Differenzen bestanden, mochte Flimm nicht verraten: „So was kommt eben vor, wie im Fußball auch“, und es war eigentlich gar kein Unglück, denn nun konnte er den Star des Abends vorstellen, den 24-jährigen Thomas Guggeis, zuletzt Assistent von Daniel Barenboim und für diese Produktion auch unter Von Dohnányi. Im Februar hatte er in Wien eine Neuproduktion von Debussys „Peléas et Melisande“ dirigiert. Auch kein Leichtgewicht der Opernliteratur, und jetzt stürzt er sich mit so mitreißender Spielfreude in den berüchtigten Orchestersturm der „Salome“ von Richard Strauss, dass er am Ende mit Standing Ovations verabschiedet wird.

Sie sind sehr verdient, vor allem deswegen, weil die ganze Staatskapelle mitspielt, wenn der Regisseur über alle Grenzen des Geschmacks und der Konvention geht, um aus dem Zentrum des Werkes heraus eine bruchlose, dynamische Einheit von Musik und Text zu erzeugen. Von Dohnányis sorgfältig gepflegte Gediegenheit hätte dazu wohl tatsächlich nicht gepasst. Denn Neuenfels möchte diese biblische Mörderin gar nicht verstehen und erklären, denn dann säßen wir unweigerlich in einer Vorlesung über Sexualpathologie und müssten uns aufgeklärte Gedanken machen über die gesellschaftlichen Ursachen solcher Fälle.

Stattdessen ruft Neuenfels Oscar Wilde als stummen Zeugen auf die Bühne, den Autor des Textes, den Strauss nur leicht gekürzt vertont hat. Es geht zurück zur Quelle, der Schauspieler Christian Natter spielt einen Mann in sehr elegantem Anzug. Unpassend ist nur, dass ihm zwei silberne Hodensäcke aus der Hose hängen. Für Bühnenbild und Kostüme zeichnet Reinhard von der Thannen verantwortlich, der seit Langem für Neuenfels arbeitet. Die beiden haben ein geradezu symbiotisches Verständnis füreinander entwickelt.

Es geht um eine Art Wut des Geschlechts, die Gier, nicht um Lust oder um sexuelle Befriedigung

Wer auch immer auf die Idee mit den Silberhoden kam, das Detail ist eher verwirrend als obszön. Denn der Penis fehlt, auf den es doch ankäme, ginge es um männliche Entblößung. Die Stoffbeutel mit der Furche dazwischen könnten auch eine Vulva darstellen. Oscar Wilde, der verheiratete, homosexuelle Mann, Dichter und Kritiker der vikto­rianischen Moral, muss nun diese 17-jährige Prinzessin von Judäa persönlich bei der Hand nehmen, um ihr zu helfen. Mit ihm zusammen kann sie frei heraus singen, was sie antreibt. Die Litauerin Ausrine Stundyte versucht gar nicht erst, die Diva zu imitieren, die sie nicht ist. Ihre eher schmale, dafür bewegliche Stimme ist durch Strauss natürlich überfordert, aber genau daraus entsteht das Bild einer Frau, die an den physischen Grenzen um das Recht ihres Körpers kämpft.

Zu sehen und zu hören ist damit eine Art Wut des Geschlechts. Es geht um die Gier, nicht um Lust und sexuelle Befriedigung. Neuenfels und von der Thannen haben einen eiskalten Brutalraum darum herumgebaut, der eher Labor als Palast ist: breite, schwarze Lamellen an den Seiten, violett, rosa und weiß gestreifte Rückwand und ein riesiger Phallus aus Blech, in den Jochanaan eingeschlossen ist, der Prophet Christi und Frauenfeind. Oscar Wilde holt ihn heraus, weil Salome ihn haben will. „Deinen Mund will ich küssen“, singt sie jetzt, wie auch am Ende, wo Wilde sie zu den 42 abgeschlagenen Köpfen führt, auf einem riesigen Edelstahlsockel aufgereiht und von unten gespenstisch beleuchtet. Zart und zum ersten Mal auch traurig singt Stundyte Wildes Schlüsselworte: „Hättest du mich angeschaut, hättest du mich geliebt.“

Genau das mutet Neuenfels uns zu, schockierend und schamlos. Wir schauen Salome an – und lieben sie. Als auch er zum Applaus auf die Bühne kam, gab es ein wenig Buhgeschrei in den Rängen. Das muss so sein bei ihm, deswegen war alles gut.

Weitere Vorstellungen: 10., 14., 19. März

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