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Nationalkino ohne Nation

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in der britischen Kronkolonie Hongkong eine Ausnahmekinematografie. Das Arsenal zeigt eine Werkschau

„Boon Bin Yen – Ah Ying“ über das Leben einer jungen Frau in zwei Welten (Allen Fong, Hongkong 1983) läuft am 9. 3. um 21 Uhr Foto: Arsenal

Von Tilman Baumgärtel

„Made in Hongkong“ war einst ein Label für billigen Plunder, der in den Sweatshops der bitter armen britischen Kronkolonie für den Import zusammengenäht und -geschraubt wurden. Ähnlich wurde das Kino der asiatischen Metropole lange betrachtet: lachhafte „Chopsocky“-Low-Budget-Produktionen, in denen sich Kung-Fu-Kämpfer abendfüllend die Schädel einschlugen und die billiges Füllmaterial für Bahnhofskinos und das Nachtprogramm von Kabelsendern boten.

Heute ist Hongkong eine der führenden Finanzmetropolen und eine der teuersten Städte der Welt. Regisseure wie Wong Kar-Wei, Johnny To oder John Woo, SchauspielerInnen wie Chow Yun Fat, Maggie Cheung oder Michelle Yeoh sind weltbekannt. Und auch das Kino, das sich seit Ende des Zweiten Weltkriegs in dem kapitalistischen Stachel im Fleisch der kommunistischen Volksrepublik China entstand, hat in den letzten Jahren eine Neubewertung erfahren. Spätestens seit der amerikanische Filmtheoretiker David Bordwell in seinem Buch „Planet Hong Kong“ in den Filmen von Regisseuren wie King Hu oder Chang Che Autorenhandschriften, ja, sogar formale Spezialitäten entdeckte, ist das Hongkong-Kino auch filmhistorisch rehabilitiert.

Bei genauerer Betrachtung erscheint das Kino Hongkongs nicht nur wesentlich vielfältiger als die Kung-Fu-Filme es vermuten ließen, die in den 70er und 80er Jahren ihre Weg in den Westen fanden. Man hatte es auch mit faszinierenden Phänomen einer Art Nationalkino ohne dazugehörige Nation zu tun. Das Hongkong-Kino griff chinesische Filmtraditionen auf, die sich vor dem Zweiten Weltkrieg in Shanghai entwickelt hatten, deren Entwicklung aber die chinesische KP ein jähes Ende bereiteten. Während in China rumpelnde Propagandastreifen gedreht wurde, entwickelte sich in Hongkong eine extrem dynamische, extrem gewinnorientierte Filmindustrie, die Vergleiche mit Hollywood nicht zu scheuen brauchte.

Studios wie Shaw Brothers oder Cathay pumpten vom eigenen Studiogeländen mit festangestelltem Stab von Technikern, Regisseuren und Schauspielern monatlich mehrere Filme in die Kinos der Stadt, wo sie von einem fanatischen Publikum zum Teil lautstark bejubelt wurden. Ausländische Produktionen, auch aus Hollywood, hatten jahrzehntelang keine Chance in Hongkong. Aber dafür verkauften die Hongkong-Filmfirmen ihre Produktionen erfolgreich in die umliegenden Länder Südostasiens. Mit Bruce Lee und Jackie Chan gelang es sogar, zwei internationale Stars zu etablieren.

Die Vielfalt des Hongkong-Kinos kann man selbst mit den 28 Filmen aus der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem „Handover“ Hongkongs an China, die das Arsenal im März mit frisch gezogenen 35-mm-Kopien zeigt, nur unvollständig abbilden. Die Kuratoren haben die Reihe darum mit Mut zur Lücke zusammengestellt: eine Hongkong-Retrospektive ohne Bruce Lee und ohne Jackie Chan, ohne John Woo und ohne Michelle Yeoh – darauf muss man erst mal kommen.

Die Retrospektive hakt die wichtigsten Genres und Themen ab, die das Kino Hongkongs geprägt haben. Dazu gehören neben den um Kampfszenen organisierten Wuxia-Filmen wie King Hus „Come Drink With Me“ (1966) oder „Dirty Ho“ (1979) auch aufwendige, historische Filmspektakel, mit Plots, die oft aus chinesischen Opern übernommen wurden, wie „The Love Eterne“ (1963). Es gibt Krimis wie „Long Arm of the Law“ (1984) und „God of Gamblers“ (1989) mit ihrer Hongkong-typischen Fokus auf Triadengangs, Prostitution und Glücksspiel.

Gezeigt werden Geisterfilme wie „Madame White Snake“ (1962) und die postmoderne Wiederentdeckung solcher Stoffe in Tsui Harks „A Chinese Ghost Story“ (1987). Dem Mo lei tau, einer spezifisch Hongkonger Form des Blödelhumors wird mit Michael Huis „The Private Eyes“ (1976) und Stephen Chows „The God of Cookery“ (1996) Tribut gezollt. Auch Soft-Sex-Filme wie „Intimate Confessions of A Chinese Courtesan“ (1972) oder Trash-Merkwürdigkeiten wie „The Boxer´s Omen“ (1989), die so auch nur aus Hongkong kommen können, fehlen nicht. Mit „The Arch“ (1972) ist auch ein früher, sehr selten gezeigter Versuch eines Art House-Films aus Hongkong zu sehen, der ein vollkommener Misserfolg war – Regisseurin Cecile Tang Shu Shuen zog nach Los Angeles und eröffnete ein China-Restaurant.

Was in der Retrospektive fehlt sind die kleinen Filmjuwelen, in denen sich die Regisseure von Hongkong mit der einzigartigen Sozialstruktur und der Entwicklung ihrer Heimatstadt beschäftigen. Wahrscheinlich ist außer Paris und New York keine andere Stadt filmisch so ausdauernd und so liebevoll porträtiert worden wie Hongkong.

Besonders das Cathay-Studio hat in den 50er und 60er Jahren solche Stadtfilme zu einem eigenen Genre gemacht. Diese Art von Filmen ist es leider auch, die wegen der zunehmenden Koproduktionen von Filmfirmen aus Hongkong und der Volksrepublik China und deren Konzentration auf Blockbuster, im Aussterben begriffen sind.

„Splendid Isolation: Hong Kong Cinema 1949–1997“. 1.–28. 3. im Kino Arsenal

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