Von Krach bis Kampf

Das Festival „Noisexistance“ beschäftigt sich nächstes Wochenende mit verschiedenen Facetten des Begriffs Noise. Im Fokus dabei: die politische Dimension von Lärm und Aufruhr

Der Futurist Umberto Boccioni hat 1911 versucht, den Lärm der Stadt zu malen: „La strada entra nella casa“ hängt im Sprengel-Museum in Hannover Foto: Public Domain

Von Robert Matthies

Das polternde Rumoren von Maschinen auf einer Baustelle. Das laute Dröhnen landender Flugzeuge. Das schrille Geschrei der Kinder auf dem neuen Spielplatz. Dieses verstörende Surren von irgendwoher oder der nervige Song, den der Nachbar schon den ganzen Tag düdeln lässt. Als „noisy“ kann jedes Geräusch empfunden werden: Jeder Klang – und letztlich auch alles die anderen Sinne Betreffende –, der gerade nicht erwünscht und irgendwie unangenehm ist. Jedes Geräusch, das keinen guten Sinn ergibt und plötzlich unstatthaft und unangemessen ins Wohlgefügte, als normal Empfundene und Erwünschte einbricht. Jede Äußerung, die stört, irritiert, anderes nicht mehr richtig verstehen lässt oder einfach nicht einordnen lässt. Kurz: all das, was hier und jetzt nicht hingehört und da eigentlich nicht dazugehört.

Es ist alles eine Frage der Perspektive und des Kontextes. Denn was die einen an den Rand des Nervenzusammenbruchs treibt und sofort Reißaus nehmen lässt, finden andere ganz entzückend. Oder zumindest bemerkenswert genug, um sich dem Phänomen Noise intensiv zuzuwenden. „Noise ist schon deshalb ein sehr interessantes Problem, weil es eines der wenigen Worte ist, die genau das tun, was sie bezeichnen“, findet etwa David Wallraf, einer der Organisator*innen des Festivals „Noisexistance“.

Das setzt sich ab Freitag auf Kampnagel, zwei Jahre nach einer ersten Ausgabe in der Bremer Schwankhalle, zum zweiten Mal drei Tage lang mit unterschiedlichsten Aspekten von Noise auseinander. „Noise“, denn eindeutig ins Deutsche übersetzen lässt sich das englische Wort nicht: Ein weites semantisches Feld wuchert da zwischen und um Geräusch und Störung, Krach und Rauschen, Unverständlichkeit und Unverstandenes herum. „Noise ist voller Metaphoriken. Das Wort selbst erzeugt in den Diskursen, in denen es herumgeistert, ob in der Akustik oder in der Kybernetik, ein Rauschen“, sagt Wallraf.

Und das drängt sich immerzu auf. „Wo immer wir sind, ist das, was wir hören, überwiegend Noise“, schrieb John Cage Ende der 1930er-Jahre, rund 20 Jahre, nachdem schon der italienische Futurist Luigi Russolo im Manifest „Larte dei rumori“ („Die Kunst der Geräusche“) die klangliche Limitierung der Musik angeprangert hatte. Cage prophezeite: Das Interesse an Noise wird zunehmen, nicht mehr um Konsonanz und Dissonanz wird man sich in der unmittelbaren „Future of Music“ streiten, sondern über die Grenze zwischen Noise und sogenannten „musikalischen“ Klängen.

Seit dem Ende der 1970er-Jahre greift, ausgehend vom auf Provokation und irritierende Eindrücke abzielenden britischen Industrial und der eher an tiefschichtigen Noise-Collagen interessierten „Japanoise“-Szene, eine sich immer weiter verästelnde weltweite Noise-Szene diesen Gedanken auf. Wie vielschichtig die ist, kann man in Adam Cornelius’ 2008er Dokumentarfilm „People Who Do Noise“ über die Noise-Szene im US-amerikanischen Portland sehen.

Ganz unterschiedliche Typen sind das, die da Noise machen: Während der eine mit zuckenden Bewegungen herumspringt und Lärm aus riesigen Lautsprechern anschreit, sitzen die anderen in kontemplativer Ruhe am Tisch vor lauter miteinander verkabelten Gerätschaften und drehen ganz behutsam und in sich gekehrt Knöpfe. „Es gibt kein Rezept, wie Noise zu funktionieren hat“, sagt auch Wallraf. „Es ist egal, ob man Mobiliar zerlegt, einen Laptop benutzt, zehn Gitarreneffekte zu einem Feedback-Loop verschaltet oder es in einer klassischen Bandbesetzung macht. Noise ist ein Prinzip, das sich überall umsetzen und finden lässt.“

Lärm und Aufruhr

Auf eines können sich die meisten dabei zumindest einigen: Noise als Genre orientiert sich nicht mehr an klassischen musikalischen Parametern: keine Melodie, kein rhythmisches Zentrum, kein Takt. Weil Noise deshalb quasi das Ende von Musik beackere, eine eigentlich formlose Form sei, sei Noise viel anschlussfähiger als ein fest Gefügtes Genre, sagt Wallraf. „Das wollen wir heraussuchen: das Offene, Anschließende, Wuchernde und Zersetzende.“

Zu hören sein wird auf Kampnagel also ganz Verschiedenes: die früh und immer wieder auch famosen Noise machende Free-Jazz-Legende Peter Brötzmann gemeinsam mit der Slidegitarristin Heather Leigh ebenso wie der Hamburger Best Friend Machine, dessen Harsh-Noise-Wände wohl das Sperrigste für ungeübte Ohren sein werden: Maximal lautes, unbewegliches Rauschen übers gesamte Frequenzspektrum.

Vor allem aber rückt das Festival diesmal ausdrücklich politische Aspekte von Noise in den Fokus: Denn die Beschäftigung mit dem Lärm ist untrennbar von der Beschäftigung mit dem Aufruhr. Im Wort Rumor klingt das noch an: Krach ebenso wie Kampf. Wie Klang etwa in den vergangenen 20 Jahren eine immer größere Bedeutung in Kontrolltechniken spielt, erklärt am Freitag der britische Philosoph und Dubstep-Pionier Steve Goodman aka Kode9, der sich eingehend mit „Sonic Warfare“ auseinandergesetzt hat: mit der Nutzung von Noise für Kriegsführung und Kontrolle.

Wie sanft und angenehm fürs Ohr solche Kontrollinstrumente dabei daherkommen können, diskutiert einen Tag darauf die britische Philosophin Nina Power, die sich mit der weiblichen Stimme als Medium der Kon­trollgesellschaft beschäftigt hat. Und dabei fragt, was mit all den anderen Stimmen ist, die im Vergleich zu Siri und Alexa dann „noisy“ sind: zu sehr nach Arbeiterklasse klingen oder zu wenig weiß. Alles eine Frage der Perspektive und des Kontextes.

Fr, 2. 3., 20 Uhr, Foyer der HfbK, Lerchenfeld 2; Sa, 3. 3., und So, 4. 3., Kampnagel

Infos und Programm: www.noisexistance.com