Mit immer neuen Varianten den Ball befreien

Die Welt der Hobbys anderer Leute: Corneliu Porumboius Dokumentarfilm über einen freundlichen Fußballtheoretiker in Rumänien – „Infinite Football“

Laurenţiu Ginghină sitzt in der Mitte. Seine Fußball­variante soll die Menschen zu einem gewaltfreien Miteinander erziehen Foto: Berlinale

Von Fabian Tietke

Eine Beinverletzung beim Fußball sollte Laurenţiu Ginghinăs Leben einschneidend verändern. Das Studium der Forstwirtschaft erledigte sich Ende der 1980er Jahre, weil es für das Studium einer sportlichen Aufnahmeprüfung bedurfte, an die nach der Verletzung nicht mehr zu denken war. Auch sonst ist Ginghinăs Leben nicht arm an im letzten Moment verpassten Chancen, Gelegenheiten, die sich in Luft auflösen.

Gegen Mitte von Corneliu Porumboius Dokumentarfilm „Infinite Football“ erzählt Ginghină hinter seinem Schreibtisch in der Präfektur in der rumänischen Kleinstadt Vaslui, wie er zweimal beinahe in die USA gekommen wäre: das erste Mal scheiterte es am Vater der Farmerin, bei der er hätte arbeiten sollen, das zweite Mal schlossen sich mitten im Visumprozess nach dem 11. September 2001 die Grenzen vor ihm. Doch Ginghină ist unerschütterlich optimistisch und baut jede dieser gescheiterten Möglichkeiten als Chance in den Rückblick auf sein bisheriges Leben ein.

Die eigentliche Leidenschaft des Präfekturangestellten Gin­ghină gehört jedoch der Theorie des Fußballs. Unermüdlich testet der Luhmann des Fußballs Optionen für veränderte Regeln des Spielflusses, der Form des Spielfeldes und der Verteilung der Spieler auf dem Feld aus. Auf Magnettafeln und Stapeln von Papier spielt er Möglichkeiten durch, den Spielfluss zu beeinflussen. Immer neue Zonen gliedern das Spielfeld mit immer weiteren Regeln, welche Spieler sich in welchen Zonen bewegen dürfen. Sein Ziel: „den Ball befreien“. Gegen Ende des Gesprächs im Büro vertraut er Porumboiu über den Schreibtisch hinweg an: „Ich fühle mich ein wenig wie diese Super­helden. Ich fülle Dokumente aus, aber in meinem zweiten Leben revolutioniere ich den Sport.“

Die Skepsis, die ihm entgegenschlägt, kann ihn im Glauben an seine Arbeit nicht beirren. Als er zwei örtliche Fußballmannschaften einspannt, um die aktuelle Version seiner Regeln zu testen, zeigen sich Schwächen, und einer der Trainer tut Ginghinăs Werk gar als Trainingsmethode ab – aber das führt nur zu einer neuen Version, die aus den Fehlern der vorhergehenden lernt. Ginghină hat eine Vision: Seine Fußballvariante soll die Menschen zu einem gewaltfreien Miteinander erziehen. Eine Utopie? Mitnichten: „Eher eine authentische Lösung. Es scheint nur als Utopie für Menschen, die sich die Freiheit dazu verweigern.“

Corneliu Porumboiu ist einer der Protagonisten der rumänischen neuen Welle, die vor etwa zehn Jahren in die Festivals der Welt schwappte. Seine Komödie „12:08 East of Bucharest“ erzählte 2006 vom Widerstreit der Erinnerungen, ob die rumänische Revolution gegen Nicolae Ceauşescu eigentlich von ebenjenem Städtchen Vaslui ausging, in dem Ginghină heute den Fußball revolutioniert. Der Originaltitel, „A fost sau n-a fost?“, fragt: Gab es eine Revolution in dem kleinen Vaslui, bevor sie das Land ergriff, oder gab es sie nicht? Beide Filme blicken voll Humor und Wohlwollen auf die kleinen Lebenslügen, die im Hier und Jetzt den Blick zurück erleichtern. Auch Laurenţiu Ginghină verfügt über genügend Humor, um sich dadurch nicht bloßstellen, sondern das Gespräch in kritischen Momenten in eine andere Richtung fortplätschern zu lassen.

In jüngeren Jahren begann Porumboiu zunehmend, zwischen Spielfilmen und Dokumentarfilmen zu wechseln. Vor vier Jahren sah man im Forum den Film „The Second Game“, der ein Fußballspiel von 1988 zeigt, das Porumboiu gemeinsam mit seinem Vater, der damals Schiedsrichter ebendieses Spiels war, kommentiert. Derzeit arbeitet Porumboiu an einer Komödie über einen rumänischen Polizisten, der auf Gomera einen korrupten Geschäftsmann befreien will.

„Infinite Football“ ist ein charmanter Film mit viel Sinn für die Skurrilitäten des Alltags. Angesichts der Ernsthaftigkeit, mit der Ginghină zu Werke geht, weicht auch beim Zuschauer, wie bei Porumboiu, mit der Zeit die Skepsis der Neugier, was es eigentlich ist, was ihn an seinen immer neuen Spielva­rian­ten so fasziniert. Porumboi­us Film ist ein Ausflug in die Welt der Hobbys anderer Leute, die die eigene Verschrobenheit freundlich mitbedenkt. Eine erste kleine Entdeckung im Forum.

17. 2., 22.30 Uhr, Cubix 9; 20. 2., 14.30 Uhr, Delphi