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Pionier bei den harten Typen

So komplexbefreit wie der Slopestyler Gus Kenworthy ist wohl noch kein Sportler in den USA mit seinem Schwulsein umgegangen. Auch seine zahlreichen Sponsoren finden das äußerst attraktiv

Aus Pyeongchang Florian Haupt

Slopestyler sind harte Typen. Sie fahren Schanzen hoch, die man auch als Abschussrampen beschreiben könnte. Dann fliegen sie. Es ist ein Gefühl der Freiheit. Aber es kann auch verdammt wehtun.

Bei Gus Kenworthy hat es das schon im Training zu seinem Wettbewerb (Sonntag, 2 Uhr MEZ). Am Donnerstag brach er sich im Bokwang Snow Park den Daumen. Aber es gibt Dinge, die tun mehr weh, immer noch, auch wenn er sie mittlerweile am liebsten mit Humor nimmt: „Das wird mich natürlich nicht vom Wettkampf abhalten“, schrieb er seiner Fangemeinde zu einem Röntgenfoto von dem Bruch: „Aber es wird mich davon abhalten, Pence die Hand zu schütteln“, dem US-Vizepräsidenten, der in Pyeongchang als oberster Vertreter von Stars and Stripes fungiert. Die Sache sollte eigentlich keine sein. Es ist nicht Nordkorea, es geht nicht um den Weltfrieden, aber Mike Pence ist erzkonservativer Evangelikaler und Gus Kenworthy, 26, ist … „der schwule Skifahrer“.

Ja, so dürfe man ihn nennen, sagt er. Auch „Pio­nier der schwul-lesbischen Gemeinde“ oder was auch immer. „Mein Leben als Junge wäre einfacher gewesen, wenn es jemand in meiner jetzigen Position gegeben hätte, der offen schwul und stolz darauf und erfolgreich in seinem Sport gewesen wäre. Ich möchte dieser Jemand sein.“

Der Weg zu dieser Überzeugung kostete mehr Mut als der zur Fahrt auf die Rampen. Vor vier Jahren in Sotschi gewann Kenworthy die Silbermedaille, aber da war der in London geborene Sohn eines Amerikaners und einer Britin noch in the closet, im Schrank, wie man auf Englisch sagt. Nach dem Rennen standen die Medaillengewinner zusammen beim Fernsehen, alle drei Amerikaner, alle Singles vermeintlich (Kenworthy hatte einen Freund, aber das wusste ja keiner), einen Tag vor dem Valentinstag, und der Reporter fragte, wer ihr Herzblatt sein sollte. Kenworthy fielen erst nur Männer ein. Dann sagte er: Miley Cyrus. Inzwischen ist er mit ihr gut befreundet.

Inzwischen ist ja alles klar. Die Sache mit dem Fernsehinterview gab ihm den letzten Antrieb, sein Outing anzugehen. Monate später vertraute er sich einer Journalistin von ESPN an. Am Morgen der Veröffentlichung ihres Artikels schrieb er in den sozialen Netzwerken: „Heute ist der erste Tag meines restlichen Lebens.“ Seine Hände zitterten. „Ich hatte Angst, aber dann kam sofort die Erleichterung. Als ich die Nachricht geschickt hatte, brach ich sofort in Tränen aus.“

Dass sich die Sponsoren auf seine Sexualität beziehen, findet er „cool: So etwas hilft, Homophobie zu schwächen

Kenworthy ist nicht der einzige US-Olympionike, der sich erklärte, aber er kommt aus dem Extremski- oder Snowboardbereich. Und da war er der Erste überhaupt, bei den coolen, harten Typen, da sei so ein Schritt schon schwieriger, sagt Adam Ribbon, Eiskunstläufer und Amerikas zweiter offen schwuler Athlet bei diesen Spielen. Doch alle Sorgen waren unbegründet. Ganz anders, als es das Klischee vermuten lässt, wonach ein Outing im Spitzensport einer Selbstmorderklärung gleichkomme. Kollegen entschuldigten sich, falls sie früher mal Schwulenwitze gemacht hätten. Beim ersten Rennen nach dem Artikel feierte er einen Sieg und wurde im Ziel von Regenbogenflaggen begrüßt. Die Sponsoren sprangen auch nicht ab. Im Gegenteil.

Haarshampoo („Meine Schultern tragen mehr als nur den Stolz meines Landes, auch den meiner Community“), Klamotten, eine Automarke, ein Kreditkartenunternehmen, eine Unternehmensberatung – das Portfolio ist beachtlich. „Ich bin jetzt vermarktbarer“, beobachtet er selbst. Dass sich die Sponsoren in ihren Anzeigen oft auf seine Sexualität beziehen, findet er „verdammt cool: So etwas hilft, Homophobie zu schwächen und Barrieren einzureißen.“ Kenworthy, den rechten Arm volltätowiert, Lederbänder um die Handgelenke, sprang für Hochglanzfotos sogar nackt über seine Freestylerampen.

So komplexbefreit ist wohl noch kein anderer Sportler damit umgegangen, selbst in den USA nicht – wo jetzt ein Vizepräsident amtiert, der eine Vorgeschichte als Lobbyist gegen Homosexuellenrechte hat. Pence hält Schwulsein für eine therapierbare Krankheit und plante im vorherigen Job als Governeur von Indiana unter dem Etikett „Religious Freedom Bill“ ein Gesetz, das Ladenbesitzern erlauben sollte, Homosexuellen aus Glaubensgründen die Bedienung zu verweigern. Kenworthy wollte Pence in Korea nicht treffen, und er will auch seinen Chef nicht treffen, wenn Donald Trump den Empfang für die Olympioniken gibt. „Ich bin stolz, für die USA anzutreten und Amerikaner zu sein. Aber ich möchte keine Unterstützung für dieses Kabinett zeigen. Ein Händeschütteln wird es mit mir nicht geben.“

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