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Rache mit Haltung und Lotosblüte

Witzig und tragisch zugleich: „Amiko“ von der jungen japanischen Filmemacherin Yoko Yamanaka (Forum)

Von Barbara Wurm

Amiko ist 16. Sie trägt Schuluniform, wie alle. Stirnfransenlook, wie die meisten. Und doch ist Amiko kein japanisches Durchschnittsgirl. Das liegt weniger an ihrem London Style oder ihrem Profifotoapparat, mit dem sie Instantan-Ephemeres festhält, sondern an ihrer Einstellung. Sie nämlich hat kein Problem damit, sich für interessanter als die anderen Mädchen zu halten. Die machen Klein-Klein, sie denkt groß. Die pflegen ihr Äußeres, sie trägt ihre Werte auch ganz innen. Die sehen das Übliche. Sie sieht das Eigentliche. Das klingt nach Anmaßung. Ist es aber nicht. Hey, endlich eine superjunge Frau im Kino, die sich ernst nimmt. Selbst beim Schlürfen von Spaghetti mit rohem Ei.

Bestätigt wird Amiko in dieser (auch objektiv natürlich völlig korrekten) Überzeugung, die einzig Wahre zu sein, von Aomi, dem süßesten Jungen des Schulfußballteams (auch das objektiv total korrekt). An einem Tag, ein Zufall will es, begegnen sich die beiden nach der Schule und legen den Heimweg gemeinsam zurück. Es ist dieser (nur gefühlt den Großteil der Filmlänge einnehmende) Spaziergang, am Stadtrand, durch ein Wäldchen, bis in den Abend hinein, der die wunderbare Tonlage dieses Films bestimmt; er hat alle Qualitäten, die man aus dem französischen Kino kennt, irgendwo zwischen Eric Rohmers Märchen-Strand-Begegnungen vielleicht und dem urbanen postkoitalen Nachmittagsflanieren bei Philippe Garrel.

Nur dass das erwachsene Gespräch der Teenies Amiko & Aomi – über den Verlauf der Liebe im Allgemeinen und Radiohead im Konkreten, was sonst – eben nicht von solchen gereifteren Regiegrößen stammt, deren Freiheitsvermögen sich einer (groß)bürgerlichen Verankerung in Redekulturpflege verdankt, sondern von Yoko Yamanaka, Jahrgang 1997. Und damit ist sie die jüngste Regisseurin der diesjährigen Berlinale. Vielleicht sogar in der Geschichte des Forums des Jungen Films?

Im so lebendigen Japan-Kino der neuen Jugend rebelliert jede auf ihre Weise. Bekennende Studienabbrecherin, hat Yamanaka doch ihre Film­lektionen gelernt: An Chabrols Film „Une affaire des femmes“ gefalle ihr, wie effektiv sich Humor in einer ansonsten eher ernsthaften Geschichte ausnehme. Eine sehr treffende ­Selbstbeschreibung ist das auch. Denn man wird die Extremverliebtheit ihrer Titelheldin Amiko (Aira Sunohara, mit Schmollmund und ­Stechblick) genau deshalb nicht so schnell ver­gessen, weil ihr be­harrliches „Den will ich und sonst ­keinen“ so unglaublich ­witzig ist. Bei aller ­Tragik.

Die wunderbare Tonlage des Films und seine Handlung bestimmt ein Abendspaziergang am Stadtrand

Während nämlich besagter Spazier­gang für Amiko nicht weniger als die Begegnung ihres Lebens ist, eine Zweisamkeit, die die anderen, die ordi­nary souls, nie begreifen ­werden, scheint ihr heimlich Angebeteter überhaupt kein Interesse mehr zu haben. Er nimmt nicht mal von ihr Notiz, als sie in der Porno-Unterabteilung der Videothek einige Mal wie das berühmte surrealistische weiße Pferd im Bildhintergrund vorbeihuscht, von links nach rechts und zurück, nur um zu signalisieren, HALLO, HIER BIN ICH. Und dann schreit Amikos Körper, vor Traurigkeit, so wie er anfangs Glückskreischer vom Irrsten produzierte. Ein ganzes Jahr ohne ein Wort von ihm, von ihm, von ihm. Und dann auch noch eine Neue, warum die, die, die?! Die Rache ist nicht süß. Aber hat Haltung.

Amiko ist ein kleiner, anarchischer Do-it-Yourself-Lowbudget-Debütfilm. Idee: Liebesdepression, Grundton: Melancholie, Ziellinie: Neoromantik. Formal getragen von szenischen Miniaturen, die an erzählerischer Freiheit und frechen Cuts (nein, keine Angst, nicht an Godard, sondern) an das wilde Punk-Japan der späten Siebziger erinnern, dabei aber im Unschulds-Rea­lity-Look von heute daherkommen. Imperfekte Superheldin und Lotus Flower inklusive.

21. 2., 18.45 Uhr, CineStar 8 (E), 22. 2., 20 Uhr, Cubix 9 (E), 24. 2., 15.30 Uhr, Kino Arsenal 1 (E), 25. 2.,14.30 Uhr, Akademie der Künste (E)

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