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Archiv-Artikel

Attac Gender AG

Die Gender AG dechiffriert die unnötig kryptischen Fachbegriffe der Finanzwelt und möchte gezielt Frauen ermutigen, sich kompetent in Wirtschafts- und Finanzdebatten einzumischen

Gender + Ökonomie

 Schneewittchen rechnet ab

Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren – eine Tagung der Gender AG von Attac, am 3. November 2012, in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32 (Neukölln). Bitte online anmelden:

■  Die Tagung im Netz

feministischeoekonomie.wordpress.com

■  Die Gender AG im Netz

attac-netzwerk.de/gender-ag/

Christine Rudolf hält nichts von Fremdwörtern. Begriffe wie „Asset Backed Securities“, „Collaterized Debt Obligations“ oder „Credit Default Swaps“ seien nichts anderes als überflüssige Konstrukte, die dazu dienten, Menschen aus Diskursen auszuschließen, genauer: Machtverhältnisse zu manifestieren. Wie Christine Rudolf berichtet, hörte sie Frauen oft sagen, Wirtschaft gehe sie nichts an. Das sei ihnen zu komplex und Männersache. Rudolf findet eine solche Einstellung falsch. Da Frauen wie Männer gleichermaßen in wirtschaftliche Verhältnisse integriert seien, sei es notwendig, dass auch Frauen sich mit der Materie befassten, appelliert die Aktivistin.

Entsprechend hat es sich die Arbeitsgruppe „Gender“ (Gender-AG) von Attac in Berlin auf ihre Fahne geschrieben, ökonomische Diskurse ohne Fremdwörter zu führen und auf diese Weise zu entmystifizieren. Auf der Internetseite der Gruppe gibt es ein Glossar, in dem wirtschaftliche Fremdwörter in normalem Deutsch erklärt werden. Die Finanzbranche koche schließlich auch nur „mit schlichtem Wasser“, heißt es im Begleittext. Das Ziel dieser Praxis ist klar definiert: Frauen sollen ermutigt werden, sich kompetent in Wirtschaftsdebatten einzumischen.

Die Nachbesserung der Kompetenz von Frauen in wirtschaftlichen Fragen und die damit einhergehende Stärkung der gesellschaftlichen Position von Frauen sind aber nur ein Aspekt der Arbeit der Gender-AG. Darüber hinaus hat es sich die Gruppe zur Aufgabe gemacht, die feministische Perspektive in ökonomischen Debatten zu stärken: Probleme wie Frauenarmut sollen nicht als Begleitphänomen von Kapitalismus betrachtet werden, sondern ein Ausgangspunkt für wirtschaftliche Überlegungen sein. Um dieses Ziel zu erreichen, lädt die Gruppe regelmäßig zu Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden oder beteiligt sich an Demonstrationen. Die nächste größere Tagung der Gruppe findet am 3. November in der Werkstatt der Kulturen statt und trägt den Titel „Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren“.

Ins Leben gerufen wurde die AG 2008 von Deborah Ruggieri in Reaktion auf die Finanzkrise und deren Begleiterscheinungen. Sie störte sich daran, dass die meisten Podien und Gremien zum Thema hauptsächlich von Männern besetzt waren. Auch innerhalb von Attac sah das nicht anders aus. Wie AG-Mitbegründerin Doreen Heide berichtet, wollte man die feministische Perspektive in der Debatte stärken, zumal sich Feministinnen schon lange mit dem Thema befasst hatten.

Um das zu erreichen, bemühte man sich bei der Gender-AG zu Anfang hauptsächlich darum, die Kompetenz von Frauen in Krisenfragen sichtbar zu machen. Das zugehörige Projekt „Frauenkompetenz in der Finanzkrise“ legte den Schwerpunkt außer auf theoretische Inputs auch auf Empowerment und rhetorische Schulung. „Wir versuchen, Interessierten mehr Know-how zu vermitteln, und wollen aufzeigen, dass die Art und Weise des Sprechens über Ökonomie bereits Teil der ausschließenden Strukturen ist“, sagt Doreen Heide.

Die Gender-AG versteht sich aber nicht als akademischer Lektürekreis. Im Gegenteil orientiert sie sich an der Praxis, was bedeutet, dass sie ReferentInnen zu ihren monatlichen Treffen einlädt, die über bestimmte Themen wie Sexismus in den Medien oder auf dem Arbeitsmarkt berichten. Neben den Informationsveranstaltungen und Treffen richtete die Gruppe 2009 gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren und Jugend den Mitmachkongress „Arbeit? Geld? Krise!“ aus, bei dem es darum ging, Frauen auf unterschiedliche Weise Wissen zum Thema Finanzkrise zu vermitteln.

Für den 3. November ist eine weitere Tagung geplant, bei der es um die Frage geht, wie die Genderperspektive in der Debatte über die Finanzkrise gestärkt werden kann. Die Gruppe wirbt dafür, bei der Lösung der Krise vermehrt Genderstandpunkte zu berücksichtigen. Die Krise soll vom Menschen aus betrachtet und gelöst werden. Indem konkrete Probleme wie zum Beispiel Frauenarmut zum Ausgangspunkt einer kritischen Reflexion genommen werden, lassen sich Lösungen ableiten, die zu einer besseren Ökonomie führen können. Auf der Tagung soll eine Broschüre entstehen, mit der gezeigt werden soll, was feministische Ökonomie alles leisten kann. Das wichtigste Ziel sei jedoch, einen intensiven Austausch und Vernetzung unter den TeilnehmerInnen zu erreichen. „Wir sehen die TeilnehmerInnen nicht als Schüler, sondern als Experten ihrer konkreten ökonomischen Situationen und Arbeitszusammenhänge“, sagt Julia Lemmle, die die Tagung mitorganisiert hat.

Für die Tagung gilt dasselbe wie für alle Veranstaltungen der Gender-AG: Neue Gesichter sind immer willkommen, und zwar Frauen und Männer gleichermaßen. LUKAS DUBRO