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Bildhauerische Fotografie

Das Sprengel Museum zeigt die preisgekrönte Fotografin Rineke Dijkstra, die mit ihren geradezu skulpturalen Aufnahmen die Möglichkeiten, vor allem aber die Grenzen des Porträts auslotet

Von Jan Zier

Die Fotografie, nein: das Porträt ist eine Skulptur. Nicht prinzipiell natürlich, bei Rineke Dijkstra aber schon. Das Bildhauerische ihrer Fotos drängte sich zwar früher schon auf. Erst recht aber in dieser schlicht „Figuren“ betitelten Ausstellung im Sprengel Museum Hannover. Sie zeigt 60 von Dijkstras Fotos sowie Videoarbeiten zusammen mit 35 Werken aus der hauseigenen Sammlung – viele Plastiken, aber auch manches Ölbild. Die meisten Arbeiten hat Rineke Dijkstra selbst ausgesucht.

In Hannover hat die niederländische Fotografin 2015 den mit 15.000 Euro dotierten Spectrum-Preis für internationale Fotografie der Stiftung Niedersachsen erhalten. Und dazu die Ausstellung, die schon ihre vierte in diesem Museum ist, seit 1998 hier zum ersten Mal eines ihrer Videos zu sehen war.

„Figuren“ ist dabei bewusst keine Retrospektive. Denn von denen, sagt Dijkstra selbst, sei sie mittlerweile „gelangweilt“. Das mag daran liegen, dass sie gerade eine solche hatte – im Louisiana Museum of Modern Art im dänischen Humlebæk. Rineke Dijkstra gewann vor Kurzem auch den legendären Hasselblad Award. In Hannover wollten sie seinerzeit mit dem Preis die Künstlerin „wieder auf das Parkett der Anerkennung heben“, wie Kurator Stefan Gronert sagt. Doch die großen Museen dieser Welt haben Rineke Dijkstra schon häufiger entdeckt. Die breite Öffentlichkeit hierzulande eher nicht.

„Sie nimmt eine solitäre Position in der neueren Fotografie-Geschichte ein“, heißt es in der Begründung der Jury des Spectrum-Preises über die Künstlerin. Wegen der formalen und inhaltlichen Stringenz ihrer Bilder, aber auch wegen ihrer Auseinandersetzung mit dem klassischen Porträt.

Bei den Fotos bekommt man das Gefühl, man könnte um die Person herumgehen

Das fängt schon mit den „Beach Portraits“ an, die Anfang der neunziger Jahre den Beginn der künstlerischen Arbeit von Rineke Dijkstra markieren. Bei jedem dieser Fotos bekommen wir als Betrachter das Gefühl, wir könnten um die Person herumgehen. In der Haltung all der Jugendlichen, die da in dezentem Licht gezeigt werden, schwingt stets die ganze Kunstgeschichte mit, die Pose, mit der Skulpturen seit der Antike geformt wurden. Dazu sind die Hintergründe einfach, ja: gleichförmig, ein bisschen wie gemalt, dabei fast nichtssagend.

Alles in Rineke Dijkstras „Beach Portraits“ ist sorgsam auskomponiert und doch soll es immer „einen Moment der Unbefangenheit geben“, wie sie in einem Interview einmal sagte. Gleichwohl wissen die Jugendlichen sehr wohl, wie sie wirken, wirken wollen und was sie darstellen. Sie befinden sich allesamt in einer Phase des Umbruchs, das spürt man sofort, und ihre Emotionen sind noch sichtbarer, ihre Selbstbild ist noch nicht so verkopft und kontrolliert, wie das später der Fall sein wird.

Wie sehr aber der einzelne Mensch bei Dijkstra abstrahiert wird, zeigt sich beispielsweise in der um 1963 entstanden vierfarbige Glasplastik „La Famille“ von Hans Arp, die optisch ein wenig wie modernes Sexspielzeug daherkommt. Sie steht in der Ecke eines Raumes, der eine großformatige Serie mit Halbporträts dreier Schwestern zeigt, aufgenommen im Laufe von sieben Jahren.

„La Famille“ könnte im Grunde jede vierköpfige Familie sein, der Einzelne ist hier auf seine Rolle reduziert. Nichts erinnert hier mehr an Individuen. Und auch Emma, Lucy und Cécile stehen stellvertretend für drei Schwestern, die zusammen groß werden und dabei von Zeit zu Zeit einer Künstlerin Modell stehen. Das Foto versucht zwar, ihnen als Individuen gerecht zu werden, ja: näherzukommen. Doch bleibt es immer auch die abstrakte Pose dessen, der da gerade inszeniert wird und sich inszeniert. Von dieser Spannung leben alle Porträts von Rineke Dijkstra.

Daneben hängen nun Werke etwa von Max Beckmann, in denen sich Parallelen in der Körperspannung, in der Haltung von Armen und Beinen zu Dijkstras Fotos finden. Oder ein Werk von Picasso, das Manets „Frühstück im Grünen“ aufnimmt – an das man unwillkürlich denken muss, sieht man die Jugendlichen, die Dijks­tra im Vondelpark in Amsterdam aufgenommen hat. Das erzählt nicht immer etwas Neues über Dijks­tras Bilder, korrespondiert aber, vor allem auf einer eher formalen Ebene. Es zeigt, welchen Einfluss Bilder haben, die in unseren Köpfen sind und das Bild des Menschen prägen, das die Fotografie zeigen kann.

Wie groß die Nähe zweidimensionaler Medien zur Skulptur sein kann, beweist auch die Videoarbeit „Gymschool, St. Petersburg“, die elf Mädchen dokumentiert, die aberwitzige und unnatürliche Verrenkungen von rhythmischer Sportgymnastik vorführen und zugleich versuchen, jede menschliche Regung zu unterdrücken. Der Kurator spricht hier gar von „Schinderei“ – in der Tat fällt das Zuschauen bisweilen schwer. Die Figuren der Acht- bis Zwölfjährigen finden sich in einem technisch anmutenden, sinnbefreiten Apparat wieder, den Shinkichi Tajiri gebaut und „Made in USA“ betitelt hat. Einmal mehr zeigt sich: Jedes Bild hier ist gleichsam auch eine Skulptur.

Bis 6. Mai, Sprengel Museum Hannover

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