: Heimat ruiniert
Im Theater Bremen lässt Residenz-Autor Akin Emanuel Şipal eine Familie in die Türkei zurückkehren. Leider fällt Regisseur Frank Abt zum widerborstigen Text nicht viel ein
Von Jens Fischer
Ein für alle Möglichkeiten menschlichen Mit- und Gegeneinanders offener Raum. Ausstatterin Susanne Schuboth stapelt nur ein paar Dutzend Umzugskartons hinein. Als abstrakte Interpretation des Stücktitels: „Ein Haus in der Nähe einer Airbase“. Und als prima Projektionsfläche für Videos der mit diesem Ort verbundenen Sehnsüchte: nach Familienglück, wirtschaftlicher Selbstständigkeit, Zuhause-Gefühlen. Aber das Panorama wird gestört durch Bilder des lärmend vom benachbarten Nato-Luftwaffenstützpunktes İncirlik startenden Verkehrs. Und einem Feuer, das in der dramatischen Realität das Haus zerstört – und als Metapher all die dort angelebten Hoffnungen obdachlos macht.
Ein Anlass, der eigenen Trauer nachzuspüren, „auf dass sich lose Erzählungen und Erinnerungen zu einer Familiengeschichte verweben“ – wie Akin Emanuel Şipal den Ausgangspunkt seines Stücks definiert. Er ist diese Spielzeit als Gastdramaturg und „Author in residence“ am Theater Bremen engagiert. Sein Auftragswerk versucht abseits von Kopftuch- und Flüchtlingsdebatten, Ehrenmorden, archaischen Geschlechterrollen und mittelalterlich ausgelegtem Islam ein postmigrantisches Kernthema auf die Bühne zu bringen: Heimatkonfusion.
Şipal fragt nach der Identität von Menschen und Kulturen – am Beispiel der zweiten und dritten Generation Deutschtürken. In den namenlosen Hauptrollen: Vater, Mutter, Tochter. Eines Tages bleiben sie im Urlaub. Leben fortan in ihrem türkischen Ferienhaus. Familienrück- statt -nachzug. Funktioniert Remigration ans Mittelmeer? Schließlich ist niemand von ihnen dort geboren. Und bald auch alles wieder verloren.
Die Tochter tritt vors brennende Heim und beginnt zu plaudern von der gescheiterten Flucht voran in die Vergangenheit. Egal ob Şipals handlungsarmes Libretto dialogisch, chorisch, monologisch aufgebaut oder wie eine Textfläche auf verschiedene Stimmen aufgeteilt ist, Fania Sorel spricht alle Worte erst mal allein, wechselt zwischen distanzierter Ironie und mädchenkeck schnippischem Witz. Stinkesauer ist sie auf den Umzug, will nicht in die englischsprachige Schule, findet alles fremd und dreckig. Angst macht der gleich um die Ecke tobende syrische Krieg. Und drohen nicht auch Erdbeben?
Immerhin: „Mein Puls hüpft, das Licht durchflutete alles, es ist schrankenlos hell.“ Was auch den Vater auf eine helle Geschäftsidee bringt: Er will den Einheimischen Solarpanels verkaufen. Darsteller Siegfried Maschek muss nun auf einem Heimtrainer radelnd Strom erzeugen und damit eine Scheinwerferbatterie aufleuchten lassen. Das ist doch mal eine Inszenierungsidee. Später ist noch eine zu erleben: Ein Vogel zwitschert aus dem Off – als jemand als Whistleblower bezeichnet wird. Das war es dann auch schon mit dem Regietheater Frank Abts. Er findet einfach keine dramatisch funkelnden Situationen für die Kontroversen der Vorlage.
Dabei hat Şipal anregend klar beschrieben: Wenn Deutsche mit türkischen Wurzeln von der Türkei schwärmen, erklingt eine verwirrende Gemengelage aus eigenen Ferienerlebnissen und Schilderungen der Großeltern. „Nicht nur Heimweh, sondern auch Fernweh“, „Bindung und Exploration in einem“ prägten die Faszination für das Land der Vorfahren, schreibt der Autor in seinem Programmzettelbeitrag. Im Stück heißt es, Deutschland fühle sich eben nicht immer sexy an.
Warum? Empfundene Benachteiligungen, Ausgrenzungen und Angst vor Islamophobie sind als Gründe einer Erhebung des Bundesamtes für Migration zu entnehmen. Vom Heimattourismus zur Heimkehr war es bis 2012 für viele nicht weit: Jährlich zogen etwa 17.000 türkische Staatsangehörige und 5.500 Deutsche in die Türkei. Derzeit scheint sich die Umzugsbewegung umzukehren. Schwächelnde Wirtschaft, Terror, Krieg gegen die Kurden und eine Regierung, die für ihre autokratische Machtpolitik Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte opfert, um im nächsten Jahr den Einmannstaat vom Volk endgültig absegnen zu lassen.
Was macht das mit dem Heimfernweh? Das allen „Desorientierten“ und Birol Ünel gewidmete Stück deutet an: Da rumort was. Die Mutter, die sich als Psychotherapeutin versucht, sagt da etwa über ihre reichen Patientinnen: „Ihre aufgespritzten Lippen, ihre zum Platzen gespannte Haut. Eine synthetische Elite, völlig unbrauchbar. Sie nannten den Präsidenten einen Schwanzlutscher, den man zusammen mit den Kurden und den ganzen Terroristen – und so weiter. Und das erste Mal verstand ich, wieso die Menschen für Erdoğan stimmten.“
Ist das verständlich? Oder nur Anreiz für wiedererkennendes Schmunzeln? Denn Şipals kreuz und quer wuchernder Text bemüht sich immer wieder um Witz, auch auf Kalauer-Niveau. Mudschahedin, was heißt das? „Bildungsversager aus Wanne-Eickel.“
Dann robbt ein Soldat herein, sozusagen als Inkarnation und Sprachrohr der Idee, Kriege seien die Fortsetzungen der kulturellen Entwicklung mit militärischen Mitteln. Warum sich die Tochter in diesen selbstbewusst massenmordenden Zyniker verliebt – ist bestimmt irgendwie symbolisch zu verstehen. Aber inzwischen längst egal. Wie auch sein Rollenwechsel in die Parodie eines tagesaktuell politisierenden Schriftstellers.
Der elegant widerborstige Text plätschert in einem pausenlosen Redestrom dahin, der nie groß anhebt, nie differenzierend abschwillt. Hier trifft ein ratloser Regisseur auf einen überambitionierten Autor, der Biografieschnipsel in eine fiktive Fluchterzählung verwandelt, mit ambivalentem Türkei-Bashing würzt, überhöhend einen Gemetzel-historischen Rekurs auf die Irak-Invasion der US-Armee bis hin zur Babylon-Invasion der Assyrer-Arme implantiert, auch Eheknatsch- und Pubertäts-Talk hineinbastelt, mit Philosophie unterfüttert … Alles programmatisch ziellos.
Am Ende werden die Ruinen der Heimatdebatte, das verkohlte Haus nahe der Krieg induzierenden Airbase beschworen – ohne die Debatte wirklich geführt zu haben. Nur eine Sure aus dem Koran bleibt irritierend in Erinnerung: „Solches ist der Lohn der Feinde Allahs / – das Feuer. / Ihnen ist eine ewige Wohnung darinnen, darum dass sie / unsre Zeichen verleugneten“. Die Bühnenfiguren rätseln: „Wir sind uns nicht sicher, wie weit der Arm des Gottes reicht, an den wir nicht glauben.“
Do, 15. 2., 20 Uhr, Theater Bremen. Weitere Termine bis Ende April
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