: Vorfreude auf die popcornfreie Berlinale
Zwischen YouTube, Filmförderung und der Suche nach dem guten Film: Ein Kino-Gespräch in der Akademie der Künste
Von Barbara Wurm
Seit es das Kino gibt, tut es sich schwer, einfach nur das zu sein, was es so gern wäre – und bis heute behauptet zu sein: ein Kulturfaktor. Bald nach Erfindung des Mediums kamen Benimmregeln und Kussverbote, wurden Wissen, Filmkunst und mehr vermittelt. Doch, oh weh, 100 Jahre später reicht das grade mal dazu, dass die Pornobranche zwar vielleicht am Schmuddelkinosterben leidet, trotzdem aber die Wege der Filmindustrie steuert. Von Live-Cam über File-Sharing bis zu virtuellem Strip-Club führt dieses im Schatten operierende zentrale Marktsegment vor, wie Technologien interaktiv umarmen muss, wer im Tube-Site-(Zeit)alter überleben will – Kultur hin, Unkultur her.
Freilich ging es im 9. Akademie-Gespräch mit dem gebremst-euphorischen Titel „Es lebe das Kino! Zur Situation des Kinos in Deutschland“ nur marginal um diese Art Begierde-Kontroll-Komplex. Dabei formulierte Jeanine Meerapfel, eine stets eigenwillige Regisseurin, die als Präsidentin der Akademie der Künste eingeladen hatte, ihren Kulturauftrag – und damit ihr Begehren – am deutlichsten. Sie möchte mehr gute Filme sehen, Perlen, den Autorenfilm, den Dokumentarfilm, den künstlerischen Essay – und das gemeinsam, im Kino. Meerapfels Plädoyer gegen die monadisch-isolierte Filmwahrnehmung mit mobilem Screening-Device in der Hand, ihre Polemik dagegen, serielle Produkte wie „Dark“ und „Fast & Furious 8“ ebenso wie künstlerische Kleinode unter dem Begriff „Kino“ zu subsumieren, scheint das Publikum (mehrheitlich 50+) einhellig zu teilen.
Bedrohte Art
Auch auf dem Podium regt sich wenig Widerspruch. Hier sitzen schließlich zwei deutsche „Filmkunst-Aktivisten“ par excellence, der Betreiber der Kölner „Filmpalette“, Joachim Kühn, und Christian Bräuer, Geschäftsführer der Yorck Kinogruppe. Herzhaft beschreiben sie den täglichen Kampf um eine Institution, die vom Aussterben bedroht ist: das gute alte Kino. Ob Immobilienhaie, auslaufende Gewährleistungsverträge für hochkomplexe digitale Vorführgeräte oder die brutalen Knebelverträge der Großkonzerne: die Bedrohungsszenarien sind real. Dabei weisen die zunächst vorgetragenen Zahlen der „Kinohalbjahresbilanz“ nach oben, lässt sich aktuell eine Zunahme an Leinwänden und verkauften Tickets verzeichnen.
Schön und gut, diese Zahlen, so Meerapfel. Aber welche Filme laufen denn da? Die Existenzfrage des ‚guten Films‘ im Kino bleibe ungelöst. Vielmehr hätte gerade die – hochumstrittene – neue Leitlinie der Filmförderungsanstalt (FFA), „zur Sicherung des wirtschaftlich erfolgreichen Qualitätsfilms (…) grundsätzlich nur noch fiktionale Langfilmprojekte mit einem Gesamtbudget von mindestens 2,5 Mio. Euro und einem Potential von mindestens 250.000 Besuchern“ zu fördern, verheerende Folgen. Ein so toller Arthouse-Film wie Valeska Grisebachs „Western“ fällt da mit 30.000 Zuschauern nämlich nicht darunter.
Damit war nun wieder Peter Dinges, FFA-Vorstand, angesprochen. Sein nachvollziehbarer Versuch, sich aus der „Kommerzecke“, in die er gedrängt werde, wieder herauszumanövrieren: Ja, die Kinoförderung sei in der Tat viel zu gering, es bedarf des unterstützten Marketings, gute Filme sichtbar zu machen. Zweitens: Die Förderlandschaft in Deutschland mit dem BKM (Bundesministerium für Kultur und Medien) für 'kulturelle’ und der FAA für 'wirtschaftliche’ Filmförderung sowie acht starken Ländern bedürfe der Defragmentierung.
Zentralisierung, das erschrecke sie zu Tode, meinte die Akademie-Präsidentin da, wurde aber aufgeklärt darüber, dass dies damit nicht gemeint sei. Was genau gemeint war, und v.a. von welchen Qualitätskriterien eigentlich die Rede ist und wer sie festlegt, blieb freilich offen. Dem Publikum schien ohnehin die aktuelle Filmkulturdebatte wichtiger: Ist Popcorn ein „Alleinstellungsmerkmal des Kinos“ oder siegt die Vorfreude einer nostalgischen Zuschauerin, auf eine „popcornfreie Berlinale“ nämlich.
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