: Transformation der Frauen
Das Publikum beim Max Ophüls Preis war teils verstört. Das spricht für die Filme
Von Carolin Weidner
Drei Filme des diesjährigen Filmfestivals Max Ophüls Preis werden in Erinnerung bleiben. Alle waren sie im Spielfilmwettbewerb zu sehen und in allen verschwindet, wenn auch auf stark unterschiedliche Weise, am Ende eine Frau – beziehungsweise kommt eine Frau, folgt man der Interpretation einer Regisseurin, „in ihre Urkraft“.
Von der Schweizerin Lisa Brühlmann stammt nicht nur diese Aussage, sondern auch der Film „Blue My Mind“, für den sie letztlich mit dem Regie-Preis ausgezeichnet wurde. In ihm verwandelt sich das Mädchen Mia (Luna Wedler) nach und nach in eine Meerjungfrau, bis sie schließlich mit einer mächtigen Schwanzflosse kopfunter in der Badewanne liegt. Ein Moment der Stille, des Friedens, den man Mia doch stark wünscht, nachdem Brühlmann sie durch einen Reifeprozess der härteren Gangart geschickt hatte. Höhe- bzw. Tiefpunkt: ein Gangbang auf einer Party, in dem sich Mia plötzlich wiederfand und von dem sie erst Freundin Gianna (Zoë Pastelle Holthuizen) erretten konnte. Doch selbst diese Freundschaft: schwerlich erkämpft. Mia kam als Neue in die Klasse, in der Gianna schon längst das Zepter in den Händen hielt. „Blue My Mind“ balanciert recht effektvoll auf den Balken Fantasy und Pubertätsrealismus, zu denen sich auch noch eine gute Portion Body-Horror gesellt.
Sehr viel leiser und introvertierter dagegen „Sarah spielt einen Werwolf“ von Katharina Wyss, eine deutsch-schweizerische Koproduktion, in der zumeist Französisch gesprochen wird. Auch Sarah (Loane Balthasar, Preis Bester Schauspielnachwuchs) durchlebt eine Transformation, nicht zur Meerjungfrau und auch nicht zur Werwölfin (auch wenn es an einer oder vielleicht auch zwei Stellen zum Zähnefletschen kommt), sondern tiefer in sich hinein, in die eigene Welt, das eigene Reich. Der Weg hinein, den Wyss gleichsam als ein Hinab gestaltet, ist von den großen Figuren der Kultur flankiert: Romeo, Julia, etwas Wagner-Personal. Gefilde, in denen sich auch Sarahs Vater (Michel Voïta) gern und ausgiebig bewegt, was eine schöne Sache wäre, blieben dessen Befummelungen seiner Tochter dafür aus. Details, die bei Wyss keine übermäßige Aufmerksamkeit erfahren, was gut ist, denn ausreichend deutlich werden sie trotzdem. Der Regisseurin gelingt das interessante Spiel, das zwischen Geheimnis und Klarheit schwankt, und das von einer poetischen Verstiegenheit ist, die sehr wohltuend wirkt, weil sie Stil und Haltung besitzt. Sarahs Verschwinden ist übrigens der Freitod.
Ein magischer Ausstieg ist dagegen Albrun (Aleksandra Cwen) in Lukas Feigelfelds beachtlichem „Hagazussa“ beschert, einem dffb-Abschlussfilm, der für die einen das vorzeitige Verlassen des Kinosaals bedeutete und für die anderen höchsten Kinogenuss. Im 15. Jahrhundert in den Alpen spielend, ist hier einer einsiedlerisch lebenden Frau zu begegnen, die, wie auch schon ihre Mutter (Claudia Martini), im Ruf steht, eine Hexe zu sein. Ein Wahn, der auch sie selbst zu erfassen beginnt, bis sie irgendwann wirklich ihr Baby im Moor versenkt, im Kessel kocht und an dessen kleinen Knochen knabbert. „Hagazussa“ ist visuell betörend, satt, unheimlich, das Portal in eine völlig andere Welt und Zeit, wo das Dröhnen der Erde noch zu hören gewesen sein muss und das Ächzen im Wald (fast durchgängig ist der Film mit den sonoren Tönen des griechischen Low-Frequency-Trios MMMD unterlegt). Am Ende prasselt ein einsames Menschenfeuer.
Dass das Verschwinden von Mia, Sarah und Albrun in allen drei Filmen als keine glasklare Tragödie deklariert wird, sondern teils sogar als legitime Flucht, spricht für die Filme, sorgte aber auch für Verstören. Nach dem „Urkraft“-Statement reagiert jemand aus dem Publikum: „Aber eigentlich ist sie für unsere Gesellschaft dann ja verloren?“
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