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Empathie als politischer Gestus

Kein leichter Anspruch, wenn Tanz politisiert wird: die Neueröffnung des Tanzquartiers Wien, einer der wichtigsten Spielstätten für den zeitgenössischen Tanz

Von Astrid Kaminski

Gut, Wiener heißen in Wien Frankfurter. Aber das macht es nicht besser. Zur Neueröffnung des Tanzquartiers Wien (TQW), eine der weltweit bestausgestatteten Institutionen für zeitgenössischen Tanz, gibt es rosa Würstel. Dazu serviert der Performance-Künstler Julius Deutschbauer, auf einem Schaffell stehend und bei winterlichen Temperaturen nur obenrum bekleidet, frisch geriebenen Kren, Meerrettich. Titel der Aktion: „Ab jetzt reibt sich das TQW seinen Kren wieder selbst“. Irgendwie scheint das auf Marcel Duchamps „Junggesellenmaschine“ und den Satz „Le célibataire broie son chocolat lui-même“ (Der Junggeselle reibt sich seine Schokolade selbst) zurückzugehen.

Für Bettina Kogler, die neue Direktorin des Tanzquartiers, die zuvor die Abteilung performing arts im Wiener WUK leitete und das Areal im Museumsquartier bestens kennt, wird mit der Krenreibe auf den künftigen Arbeitsbegriff des Tanzquartiers angespielt: Wir werden es uns nicht leicht machen. Das ist nach der Vorgängerintendanz von Walter Heun, der sich in den Augen einiger, bei aller Managerprofessionalität, nicht genügend an Visionen gerieben hat, sicher ein schmackhaftes Motto. Nur: Was als urig-kulinarische Aktion, als kunstaffine Variante von „Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne“ gedacht war, gerät bei der aktuellen politischen Lage leicht in Traditionalistenschieflage. Die Kunst ist in Österreich zwar (noch) frei, wie stark sie aber aktuell von der Politik korrumpiert und verzerrt wird, das wird bei der viertägigen feierlichen Eröffnung des TQW so sichtbar wie fühlbar.

So muss auch das eigentlich vor dem Krenreiben geplante Eröffnungsgrußwort von Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) auf den späteren Abend verschoben werden. Grund: Dem Kulturpolitiker ist seine flammende Rede im Wiener Gemeinderat gegen Burschenschaften und deren Zusammenhänge mit der FPÖ zur ausufernden Debatte geraten. Der zweite Tag des Veranstaltungsreigens im TQW konfrontiert mit dieser Realität dann unmittelbar. Mehrere Tausend Demonstranten ziehen am Museumsquartier, begleitet vom bislang größten Polizeiaufgebot überhaupt, vorbei zum von der FPÖ organisierten „Akademikerball“ in der Wiener Hofburg. Das österreichische Boulevardblatt Der Kurier titelt danach: „8000 tanzten gegen den Ball an“. Dem künstlerischen Programm im Museumsquartier zu folgen wird unter diesen Bedingungen fast zum Akt der Selbstvergessenheit. Tanz ist derzeit die politischste Kunst überhaupt in Österreich. Kein leichter Anspruch.

Auch nicht für das Eröffnungsstück „Every Body Electric“ der österreichischen Choreografin Doris Uhlich, die mit ihren tänzerisch unangepassten Körpern – jenen von Laien, älteren Menschen, übergewichtigen oder Menschen mit Behinderung – bekannt wurde. „Every Body Electric“ ist nach „Rave Machine“ mit Michael Turinsky erneut ein Energiestück zu Technobeats (Boris Kopeinig) für Körper und Rollstühle. In Soli und Duos untersuchen neun Performer*innen das Schüttel- und Vibrationspotenzial ihrer mal angezogenen, mal entkleideten Körper, setzen sich mit ihren Rollstühlen als Körperer­weiterung auseinander, lösen sich aus dem Abhängigkeits­verhältnis und setzen sich aus dieser Distanz wieder in Beziehung.

Das Publikum reagiert mit Standing Ovations auf diesen durchaus langwierigen Schütteltrip von Laien- und erfahreneren Performer*innen. Das ist natürlich ein Statement – aber was für eines? Wird hier das künstlerische Erlebnis gewürdigt oder die eigene politische Haltung? Stehen die Performer*innen für sich selbst oder für alle unter einem rechten Regierungsbündnis potenziell aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen und alle historischen Bezüge, die eine rechte Exklusionspolitik aufwirft? Für die Migranten hinter der dichten Grenze genauso wie zwei Tage vor dem Jahrestag der Befreiung für Auschwitz?

Wenn Menschen mit Behinderungen Kunst machen, dann ist das, auch anderswo, immer noch per se ein politischer Akt. Menschen mit Behinderungen können noch nicht (in vollem Umfang) an künstlerischen Ausbildungen und Studien teilnehmen. Ihre Präsenz im Betrieb und auf der Bühne ist daher immer noch eher die Ausnahme, Professionalität oftmals nur autodidaktisch erreichbar. Gerade im Bereich Tanz gibt es wenige Institutionen, die „barrierefreien“ Unterricht anbieten können. Gleichzeitig wird in den letzten Jahren aber auch bewusst und offensiv an Veränderungen gearbeitet. Der Diskurs auf der Bühne, auch der ästhetische, wird von Choreograf*innen genauso wie von Institutionen – vom HAU Hebbel am Ufer in Berlin bis hin zum tanzhaus nrw in Düsseldorf oder dem Wiener Sommerfestival ImPulsTanz – bewusst gesetzt.

Von daher könnten die Ansprüche an „Every Body Electric“, um auf Diskurshöhe zu sein, durchaus höher gesteckt werden. Über weite Strecken bleibt das Stück, das im Zusammenhang eines Workshops entstand, ein Showing, ohne choreografische und dramaturgische Ausarbeitung. Die mangelnde Abfederung wird schon in der Anfangsszene deutlich: Zwei Performer*innen liegen bei Ankunft des Publikums bereits nackt auf dem Boden, bleiben eine Weile liegen, dann ziehen sie sich über den Boden Richtung Off-Stage-Bereich. Was sagt das? Die Botschaft „Ich bin, wie ich bin“ wäre etwas dürftig. Performativ ist die Tanzwelt da schon weiter. Der Akt der Selbstausstellung ist hier, wenn nicht historisch problematisch, so zumindest redundant. Die Überempathie des Publikums als platter politischer Gestus fragwürdig.

365 Tage im Jahr, acht Stunden täglich wird in einer Eckgalerie getanzt

Einen nicht geringen Einfluss hat die Politik auch auf den sehr seltsamen Popsong-Liederabend von Performer Philipp Gehmacher und dem Pianisten Marino Formenti: Er wäre ansonsten vielleicht gar nicht zustande gekommen. Wie Gehmacher am Rand der Veranstaltungen sagt, wollte er eigentlich einen Folksong-Abend machen. Aber Folk in FPÖ-Zeiten? Dann also Pop mit Portishead & Co und lyrischen Piano-Interludien.

Leicht war diese Eröffnung für die neue Leiterin Bettina Kogler und ihre Programmdirektorin Christa Spatt sicher nicht. Das am TQW einzigartig bestückte Dramaturgie- und Theorie-Department, das nun vor allem durch popkulturelle und genderpolitische Experten aufgestockt wurde, dürfte die Bleistifte bereits gespitzt haben. Dass dieses Team etwas ausrichten will, dass es das Areal noch mehr in die Stadt öffnen möchte, zum Beispiel mit Lunch-Lesungen in der Bibliothek oder einem Golden-Hour-DJ-Set zum Feierabend, das liegt zum Eröffnungsreigen bereits in der Luft.

Nicht alles aus dem gewagt abstrakten Programm gelingt, manches ist erwartbar, und es ist auch bei einem Blick in das weitere Programm noch nicht entschieden, ob es jenseits von queerfeministischen Diskursmoden eine eigene Handschrift finden wird. Ein Coup ist jedoch bereits gelungen: die Eröffnung einer Filiale. 365 Tage im Jahr, acht Stunden täglich betanzt der Choreograf Alexander Gottfarb mit seinem neunköpfigen Team eine traumhaft schöne Eckgalerie. Vorbeizukommen und zu warten, bis etwas passiert – eine Koinzidenz, ein sich findender Rhythmus, eine zärtliche Krümmung des Raums, ein Körperzeichen, das Bedeutung bekommt –, ist eine herrliche Alltagsmeditation. Ein Luxus zwischen Kunst und Leben, der in seinem ab­strak­ten Geschehen zwischen den Körpern vor allem eines ausstellt: dass vieles noch nicht gesagt ist.

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