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Ein Fenster der Sichtbarkeit

Eine Ausstellung junger iranischer Kunst in der Galerie Katharina Maria Raab

Von Ingo Arend

Ein Raum mit verschobenen Wänden. In seiner Mitte schwebt ein entwurzelter Baum. Rechts ein grün gestrichenes Holzgerüst, das ein Reck, aber auch ein Galgen sein könnte. An seinem Querbalken baumeln drei Möhren. „Buried“ hat der iranische Künstler Alireza Nekouei sein Acrylbild genannt. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine surrealistische Fantasie. Mit der verschobenen (Vogel-)Perspektive, die für seine Arbeiten charakteristisch ist, will Nekouei die Betrachter herausfordern, Konzepte von Raum und Realität zu hinterfragen.

Der Bezug zur Lage im Iran ist freilich unübersehbar. Denn das Motiv „verdankt“ Nekouei einer Erfahrung, die dieser Tage wieder viele Iraner machen. Als junger Student musste er grundlos mehrere Wochen im Gefängnis verbringen. Nekouei ist 1988 geboren. Sein Alter ist aber nicht das einzige, was ihn zu einem der „emerging artists“ macht, der die Galerie Katharina Raab eine ambitionierte Gruppenausstellung widmet. Sondern der Versuch, Politik und Alltag im Iran künstlerisch zu reflektieren.

Zusammengestellt hat die zwölf Positionen umfassende Schau „Beyond the exhibit I. Contextualising emerging Iranian artists“ der deutsch-iranische Künstler Sharam Entekhabi. Auch wenn sie nicht unmittelbar im Zusammenhang mit den Unruhen im Iran entstand, gibt sie doch Einblick in die Beweggründe künstlerischen Handelns einer jungen Generation. „Ich kann nicht indifferent zu dem sein, was ich auf den Straßen erlebe. Es geht mir um den privaten und den gesellschaftlichen Schmerz jeden lebenden Wesens“, sagt Shaghayegh Ahmadian, Jahrgang 1996, in einem der zwölf Videogespräche, die Entekhabi mit den Künstler*innen geführt hat, über ihre Tierbilder. „Ich wollte etwas Bedeutungsvolles machen“, sagt Farzin Shadmehr. Der 1980 geborene Grafik-Designer hat sich auf Fotografie von Frauen jenseits traditioneller Rollenmodelle spezialisiert: Sportlerinnen und Behinderte.

Dreißig Jahre lang kehrte Künstler-Kurator Entekhabi nicht zurück in seine Heimat. Als er es doch wieder tat, staunte er über die lebendige Kunst-Szene. Um Künstler*innen, die im kommerziellen Sektor keinen Platz finden, ein Fenster der Sichtbarkeit zu öffnen, gründete er mit der jungen Teheraner Kunsthistorikerin Asieh Salimian den nichtkommerziellen Projektraum „Factory TT“. Die Ausstellung in Berlin ist der Konterpart der Eröffnungsausstellung „Copy/Paste“ und dem Umweltkunstfestival „Konversion/Produktion“ in Teheran im letzten Jahr. Und – im Gegensatz zur gescheiterten Berliner Großausstellung des Teheraner Museums für Moderne Kunst 2017 – ein erfolgreiches Beispiel zivilgesellschaftlicher Vernetzung.

Allzu optimistisch, was die Perspektiven der jungen, kritischen Kunst im Iran angeht, ist der 54-jährige Entekhabi nicht. Nach der „Grünen Revolution“ 2009 gab es eine Aufbruchsstimmung, jetzt herrscht eher Enttäuschung. Trotzdem ist er „immer wieder überrascht“, wie hartnäckig die Szene vor Ort ihre Projekte verfolgt.

Ahnen kann man das an der Arbeit „Transformation“ von Negar Alemzade Gorji. Auf ein weißes Leichentuch hat die gelernte Menschenrechtsjuristin, Jahrgang 1984, aus schwarzen Linien filigrane, aufwärts strebende Gestaltenbündel gezeichnet, die Blumen, aber auch Menschen sein könnten. Der Tod, so ließe sich die Komposition interpretieren, ist uns gewiss. Trotzdem gibt es Grund, an das Leben zu glauben.

Keithstraße 5. Finissage mit Diskussion: „Curating under Restrictions“ am 21. Januar

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