: Sinnsuche im Leerlauf
Das Deutsche Theater Göttingen bringt erstmals auf Deutsch das Theaterdebüt „Wasted“ der britischen Spoken-Word-Künstlerin und Rapperin Kate Tempest auf die Bühne
Von Jens Fischer
Die Welt bedeutende Bühne steht so offen wie nur möglich – als einladend leerer Raum im Theaterkeller. Laut Ortsangabe im Textbuch eine Stadt, „in der nicht groß was passiert – außer alles“. Lässig lächelnd schlendert ein typenschrill kostümiertes Muster-Trio von Menschen um die 30 herein, aufgewachsen als sogenannte Generation Y. Die erste, die es mal nicht besser haben könnte als ihre Eltern, sind doch alle emanzipatorischen Schlachten längst geschlagen, nur technische Revolutionen verheißt die Zukunft noch. Wogegen, wofür, warum also kämpfen?
Unschlüssig stehen die drei Ratlosen im Rampenlicht – zu alt, um noch wirklich jung zu sein. Blendend sehen sie aber noch aus, sind gut ausgebildet, intelligent, humorvoll. Haben sympathische Eigenschaften und so viele Möglichkeiten – aber gerade das lässt taumeln. Anstatt den Raum zu erobern, drücken sich Charlotte (Dorothée Neff), Danny (Gabriel von Berlepsch) und Ted (Benedikt Kauff) erschöpft an der Wand herum. Wären selbst so gern cool, können aber die Glieder nicht ruhig halten. Ihre Gedanken rumoren, suchen nach Ausdruck.
Die britische Spoken-Word-Artistin und Rapperin Kate Tempest schrieb ihnen mit „Wasted“ das Libretto, indem sie Auszüge ihrer Gedichte, Performances, Roman-Elegien und anderweitig hervorbrechende Gedankenströme locker zu ihrem ersten Theaterstück formatierte. Monologische Reflexionen zur Lage der Psycho-Beklemmung treffen auf dringlich bemühte und doch scheiternde dialogische Versuche der Verständigung – dazwischen collagiert sind Rap-Einlagen.
Aber Coming of Age ist dabei kein Coming of Rage. Kindlicher Trotz und jugendliches Rebellentum scheinen verpufft. Wort und Rhythmus laufen in der Interpretation der Mimen des Deutschen Theaters Göttingen schlapp asynchron, kein kunstvoll temperierter Flow erhebt den Text zur Klangkunst. So wird das schwächelnde Selbstbewusstsein der Protagonisten allerdings noch stärker betont, die Zerrissenheit zwischen den Idealen ihrer Jugend und der resignativen Zwangszufriedenheit mit den Kompromissen, die eingegangen wurden.
„Langsamer als früher, lahmgelegt von Rechnungen, / Technik und Hektik und eklektischen Ablenkungen, / grauere Gesichter. Diese Welt gehört nicht mehr / uns! Gehört anderen. / Wir sind viel öfter selbstgerecht, seltener / selbstlos, / seltener selbstständig, viel öfter / hilflos, / so marschieren wir brav / durch den Alltag, die Nacht und / haben aus der Ecke, in die man uns drängt, / unsere Nische gemacht. / Alles toll! / Alles furchtbar.“ Für die deutschsprachige Erstaufführung übersetzt wurde „Wasted“ von der auch sehenden Auges nach Orientierung tastenden Poprocksängerin Judith Holofernes (Wir sind Helden). Gesungen wird aber englisch.
Passiert auch mal was? Müsste ja. Denn nur scheiße drauf sein und schon mal an die Rente denken, weil jeder bisher nichts so recht hingekriegt hat, widerspricht der noch virulenten Lebenslust nach Partys, Drogen, Sex und Übermut. Was sich vor wenigen Jahren noch „echt anfühlte“, wie es heißt. Und nun? Danny jobbt sich so durch und konzertiert mit einer allseits bespöttelten Rockband in diesen „coolen Kneipen – wo Getränke teuer sind und nie jemand lächelt“. Charlotte hingegen ist schwer genervt, an einem sozialen Brennpunkt als Lehrerin zu arbeiten. Sie fühlt sich ohnmächtig. Weiß nicht, was sie den Kindern mitgeben soll, die da mit ihren Handys rumdaddeln, „die Münder voll mit Schimpfwörtern und Schweigen“.
Dann ist da noch Ted, genervt von sterbenslangweiliger Büro-Routine und seiner Freundin, die ihn als Requisit ihres Ehekuscheltraums benötigt. Er schwärmt davon, mit Start-up-Kohle einen Alkohollieferservice zu gründen. Einig sind sich die drei Freunde darin: Wir ändern jetzt was – bald. Dann aber können sich nicht entscheiden, worauf sie hören sollen. Auf ihr Bauchgefühl? Oder doch besser vernünftig sein und staatstragend erwachsen werden?
Den Anlass zur Debatte liefert das Wiedersehen beim zehnten Todestag eines Kumpels aus wilden Tagen, der am rauschhaften Lebensstil gestorben ist. Jetzt ist Zeit zur Einkehr. Chance zur Umkehr? Lieber Rückkehr. Die Clique schmeißt noch mal ihre Glücksmacher ein, kippt Alkohol nach und feiert durch die Nacht. Riesige Aufblasmonster füllen plötzlich die Bühne, Nebel wallt herbei, wird von Stroboskoplicht durchzuckt und etwas Metal und Punk animiert zu Pogogeschubse – und mündet schließlich in einem flotten Knuddel-Fummel-Dreier. Streichelaktiv rollen umeinander gewundene Leiber über den Boden.
Das hilft, in Katerstimmung werden Aufbrüche bekakelt. Charlotte hat ihren Job gekündigt, einen Flug gebucht, will nicht länger darauf warten, dass sie jemand glücklich macht und raus in die Welt – planlos wie eh, „völlig hinüber“. Danny erwägt, das Koksen mal ein bisschen runterzuschrauben, Yoga zu versuchen und dann voll ernsthaft an der Musikkarriere zu arbeiten: „Ich war ein totaler Arsch, nun bin ich ok.“
Und Ted, nun ja, bisher noch nicht mal richtig gescheitert, bekennt sich zu seinem Angeödetsein – folgt wie ferngesteuert dem Anruf seiner Freundin, die ihn zum gemeinsamen Ikea-Bummel beordert hat, um Zahnbürstenhalter und Lampenschirme anzugucken. „Liebe soll gar nicht Rosen und Blowjobs für immer sein“, sagt er, „Liebe ist beschissen harte Arbeit. Verbindlichkeiten, Mann.“ Ach, das nimmt dann auch Charlotte zum Vorbild. Geht da noch mal was mit Danny?
Alles toll also, aber alles auch furchtbar. Alle lassen Goldkonfetti vom Bühnenhimmel regnen. Der Hoffnungsflitter-Trost im Götzendienst der Selbstverwirklichung verhindert final eine freie Sicht ins Hier und Jetzt. Nichts ist am Ende mehr offen. Und so wird aus der Erinnerung einer Sehnsucht nicht mehr als das Protokoll einer Anpassung.
Kate Tempests Versuche, die Gefühls- und Gedankenverwirrung ihrer Generation popliterarisch zu fassen, funktionieren jedenfalls einfühlsam in der Inszenierung Johannes Rieders, der die Wortsalven der Alltagsmelancholie recht unverstellt feiert und sich wie die Autorin voll und ganz auf die Figuren als Beweismittel einlässt, wie Sinnsucherei im Leerlauf rotiert. Zum Andocken stehen jeweils knapp 100 Plätze in der Studentenstadt parat.
Nächste Aufführungen: Mi, 17. 1., 20 Uhr, Fr, 9. 2., 20 Uhr, So, 18. 2., 18 Uhr, Di, 27. 2., 20 Uhr, Deutsches Theater Göttingen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen