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„Ich habe nichts mehr außer der Vergangenheit“

Vor einem Jahr interviewten wir Lutz Baumann. Er sprach sehr offen über seine lange Arbeitslosigkeit und die Entfernung von alten Freunden. Wie ist es ihm seitdem ergangen?

Interview Manuela Heim

taz: Herr Baumann, als wir uns das letzte Mal getroffen haben, war wieder einmal unklar, ob Ihr 1,50 Euro-Job vom Jobcenter verlängert wird. Wie ist das weitergegangen?

Lutz Baumann: Es wurde verlängert, da hatte ich Glück. Aber am 1. Februar 2018 ist meine Zeit mit arbeitspolitischen Maßnahmen nach 13 Jahren endgültig vorbei.

Das heißt, Sie werden in Rente gehen?

Ich muss. Ich werde wahrscheinlich zwangsverrentet, weil meine errechnete Rente ein paar Euro über Hartz IV liegt. Das Jobcenter will mich loswerden.

Sie würden gern weiterarbeiten?

Ja klar. Aber das ist doch absolut unwahrscheinlich. Soll ich jetzt als Mann Mitte 60, der gesundheitlich nicht mehr alles kann, plötzlich etwas auf dem ersten Arbeitsmarkt finden?!

Haben Sie Angst vor einer Zeit ohne Arbeit?

Natürlich. Das sind meine wesentlichen menschlichen Kontakte.

In unserem Interview vor einem knappen Jahr haben Sie sehr offen über die Schattenseiten der Langzeitarbeitslosigkeit gesprochen, über das Abgehängtsein, über die Einsamkeit. Was haben Sie für Reaktionen bekommen?

Unterschiedlich. Das Interview wurde von Hand zu Hand gereicht. Ein alter Freund, der jetzt in den USA lebt, hat sich beschwert, dass ich nicht kämpferisch genug war. Ein anderer hat gesagt, ich bin der mit der schlechten Laune. Viele fanden es auch gut.

Lutz Baumann

genannt Max, ist 64 und lebt in Kreuzberg. Seit 16 Jahren ist er arbeitslos und immer wieder in Maßnahmen des Jobcenters beschäftigt. Seine Leidenschaften: Fotografie und Geschichte der DDR.

Mir war gar nicht klar, wie viele Sie aus der Ostberliner Zeit noch kennen. Mehrere haben mich angesprochen; einer hat gefragt, warum Sie nicht die Geschichte mit den Stones erzählt haben.

Hmm.

Ich würde die jetzt wirklich gern noch hören.

1969 gab es ja das Gerücht, die Stones würden ein Konzert geben auf dem Dach des Springer-Hochhauses, direkt an der Mauer. Und zwar ausgerechnet am 7. Oktober, dem 20. Jahrestag der DDR. Da sind natürlich alle Jugendlichen hin, zwischen 1.000 und 2.500 sollen das gewesen sein. Ich war auch dabei, mit zwei Freunden. 16 Jahre alt war ich damals.

Aber die Rolling Stones kamen nicht.

Natürlich nicht. Wer kam, war die Volkspolizei mit Gummiknüppeln. Mit Wagen von der Stadtreinigung haben sie die Leute dann Richtung Rotes Rathaus gedrängt und bei Bedarf nach Personenkontrolle verhaftet. Ein Freund wurde bis nach Mitternacht festgehalten. Ich hatte Glück. Vor ein paar Jahren sind dann erst Fotos aufgetaucht von einem, der damals dabei war.

Wenn Ihre jetzige Arbeit in Kürze endet, was würden Sie dann gern machen?

Über die DDR sprechen. In Schulen und vor allen anderen, die nicht dazu kamen, in einer kommunistischen Diktatur zu leben.

Da gibt es doch sicher Bedarf an Zeitzeugen…

An welchen aus der Nazidiktatur, ja. Und dann vielleicht noch an politischen Häftlingen aus der DDR. Ein Beat-Fan, der zwar immer seine Meinung gesagt hat, aber nie im Knast war, ist nicht so gefragt. Aber ich bemühe mich schon darum.

Was werden sie machen, wenn das nicht klappt?

Mein Halt sind die Bücher. Geschichte. Das bleibt meine große Leidenschaft. Ich bin quasi jeden Tag in der AGB [Amerika-Gedenkbibliothek, d. Red.].

In unserem letzten Gespräch haben Sie mir erzählt, die AGB war Ihr erster Gang, als Sie 1988 in den Westen übersiedelten.

Das ist immer noch so. Rückwärtsgewandt könnte man sagen. Aber außer der Vergangenheit habe ich nichts mehr.

was macht eigentlich

Die meisten Geschichten enden nicht, bloß weil wir einen Artikel darüber geschrieben haben. In unserer Serie rund um den Jahreswechsel erzählen wir sie weiter.

Schweigen.

… „Und wo bleibt das Positive“, könnten Sie jetzt doch noch fragen.

Wo bleibt das Positive?

Vielleicht sollte ich wirklich mal wieder Gedichte lesen. Erich Kästner ist der einzige, dessen Gedichte ich immer gern gelesen habe*.

*“Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner“ ist ein Gedicht von Erich Kästner (1930). Allerdings auch nicht unbedingt ein positives.

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