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Journalismus vor Gericht„Das hier ist ein politischer Lynchprozess“

Bei der 5. Anhörung im Prozess gegen die Mitarbeiter der Cumhuriyet, kam es zum Eklat: Der seit einem Jahr in Untersuchungshaft sitzende Journalist Ahmet Şık durfte sich nicht verteidigen

„Sie sind das Böse. Und sie wissen, dass sie es sind.“ Foto: Tarık Tolunay

Von den 17 angeklagten Mitarbeitern der Cumhuriyet, sitzen immer noch 3 in Untersuchungshaft. Am 25. 12 wurde vor der 27. Strafkammer Istanbul der Prozess mit der 5. Verhandlung fortgesetzt. Zahlreiche Journalisten und Angehörige der Anwaltskammern Ankara und Istanbul hatten sich vor der Verhandlung vor dem Gericht versammelt und forderten in einer Presseerklärung die Freilassung der Inhaftierten.

Als Angehörige, Anwälte, Journalisten und Abgeordnete in den Gerichtssaal eingelassen wurden, waren die Angeklagten bereits vor Ort: Herausgeber Akın Atalay und Chefredakteur Murat Sabuncu, beide seit 422 Tagen in Haft, der seit 361 Tagen inhaftierte Journalist Ahmet Şık und der Zeitungsmitarbeiter Emre İper, seit 264 Tagen in Haft. Als erster stand Ahmet Şık auf und begrüßte die in den Saal strömenden ZuschauerInnen. Anschließend waren der Reihe nach auch die Gesichter von İper, Atalay und Sabuncu zu sehen, sie lächelten der Menge zu.

Der vorsitzende Richter: Die Akte weist Mängel auf

Die Verhandlung begann mit den Worten des vorsitzenden Richters Dağ, der Mängel in der Akte beklagte: „Wir kommen nicht wie geplant voran. Es liegen noch nicht alle angeforderten Gutachten vor. Eines davon ist das Gutachten über das Telefon von Emre İper, der beschuldigt wird, den Messengerdienst ByLock verwendet zu haben.“ Dağs Worte ließen Verlauf und Ergebnis der Verhandlung bereits vorausahnen.

Anschließend wurde der als Zeuge geladene ehemalige Zeitungsmitarbeiter Doğan Satmış angehört. Satmış erklärte, in dem Interview, das er einer Website im Oktober gegeben hatte und das als Beweis gegen die Angeklagten in die Akte aufgenommen worden war, stünden Worte, die er nicht gesagt habe. „Ich glaube auch nicht, dass diese Kollegen etwas mit FETÖ zu tun haben“, sagte er weiter. „Vielmehr haben die angeklagten Journalisten FETÖ bekämpft. Dass Journalismus in dieser Weise vor Gericht steht, vermittelt im Ausland einen schlechten Eindruck von der Türkei.“ Diese Sätze brachten die Anwesenden im Saal zum Lachen. Die Aussage des Zeugen klang eher nach Verteidigung als nach Anklage.

Nach Satmış Aussage unterbrach der vorsitzende Richter die Verhandlung, was im Gerichtssaal Unruhe auslöste. Ahmet Şık meldete sich zu Wort „Ich möchte eine Erklärung abgeben.“ Der Richter Dağ ließ Şıks sprechen. Aber formulierte eine Bedingung: „Wenn du über deine Verteidigung hinausgehst, werde ich sie abbrechen.“

Zwischenruf aus dem Saal: Ahmet ist nicht Ihres Vaters Sohn

Auf die Ermahnung des Richters erwiderte Şık: „Das hier ist eine politischer Lynchprozess. Deshalb werde ich auch eine politische Einschätzung abgeben“ und begann zu sprechen: „Der Vorsitzende des Kassationshofs İsmail Rüştü Cirit zitierte in einer Rede die Justizstatistik 2016. Cirit sagte, dass in unserem Land mit seinen 80 Millionen Einwohnern rund 6,9 Millionen Tatverdächtige lebten. Im Verhältnis zur Bevölkerung der Türkei stehen also 8 Prozent im Verdacht, eine Straftat begangen zu haben.“

Der vorsitzende Richter unterbrach Şık: „Wenn du so weitermachst, gestatte ich das nicht. Es laufen Ermittlungen. Regierung und von ihr gelenkte Justiz haben dich nicht zu interessieren.“

Ein Zuschauer im Saal rief: „Du wirst das gestatten! Sie haben kein Recht, Ahmet zu duzen. Ahmet ist nicht Ihres Vaters Sohn. Sie werden ihm Respekt erweisen. Sie müssen ihm mit Achtung begegnen.“ Daraufhin wurde der Sprecher auf Richter Dağs Geheiß hin aus dem Saal entfernt.

Größerer Protest im Saal wurde vermutlich nur dadurch verhindert, dass Ahmet Şık seine Verteidigung unverzüglich fortsetzte.

„In dieser Situation, unter einem diktatorischen Regime, das Gewalt schürt und auf Brutalität und Unterdrückung basiert, kann es allein das Böse sein, das gedeiht. Es ist kein Böses, für das es Intelligenz und Talent braucht. Es ist ein ordinäres Böses, das aus Machthunger resultiert. Sie sind das Böse. Und sie wissen, dass sie es sind. Und das macht sie umso übler. Jene, die dieses Klima der Finsternis geschaffen haben, versuchen die Konsequenzen aus ihrem Verhalten hinauszuzögern, indem sie jene, die die wahren Schuldigen benennen, anklagen. Um diese Umstände zu schaffen, sind die Medien die stärkste und effektivste Waffe der AKP. Sie hat Medien geschaffen, die sich zum Sprecher der Regierung machen.“

„Wir werden Rechenschaft fordern, Sie kommen alle vor Gericht“

Nur bis hierhin kam Ahmet Şık. Nach sieben Minuten unterbrach der Richter unterbrach ihn ein zweites Mal. Er untersagte Ahmet Şık die AKP-Regierung zu kritisieren, denn das dürften nur Abgeordnete und befahl, Şık aus dem Saal zu führen.

Die Anwesenden im Saal stiegen aus Protest auf ihre Stühle und riefen „Palastjustiz!“ Als Şık von Gendarmen abgeführt wurde, wurde „Ahmet wird freikommen und weiterschreiben“ gerufen. Şıks letzte Worte, bevor er aus dem Saal gebracht wurde, waren: „Ich hoffe, Sie werden eines Tages nicht vor einem Gericht stehen, das so ist, wie Sie. Wir werden Rechenschaft fordern. Sie kommen alle vor Gericht!“

Nach Ahmet Şık verließen auch die Richter den Saal, die Verhandlung wurde unterbrochen. Auf den Fluren standen Journalisten, Abgeordnete und Angehörige fassungslos über das Geschehene und sprachen über die Courage des Reporters, der unterdessen im Untergeschoss des Gerichtsgebäudes von Polizisten festgehalten wurde.

Als die Verhandlung wieder aufgenommen wurde, stellten die Anwälte einen Antrag auf Absetzung des Richters, der Şık nicht wieder in den Saal zugelassen hatte. Das Gericht hätte mit dieser Handlung seine Neutralität verloren. Der Richter erklärte, dass über diesen Antrag später entschieden werde und gab sich poetisch: „Ganz offensichtlich ist es wie in Kayahans Lied: 'Unsere Liebesgeschichte liegt in Trümmern.’“

Der Chefredakteur der Cumhuriyet Murat Sabuncu erhielt das Wort. Dieser aber sagte nur Folgendes: „Ich habe eine Verteidigung vorbereitet, doch da Ahmet Şık sich hier nicht verteidigen konnte, werde auch ich mich hier nicht verteidigen. Wir schauen Ihnen ins Gesicht. Ahmet Şık ist einer der tapfersten und aufrichtigsten Journalisten der Türkei. Gestatten Sie: Ich möchte nach unten zu meinem Freund und Kollegen.“

Auch der Herausgeber der Cumhuriyet, Akın Atalay der nun an der Reihe gewesen wäre, verzichtete auf seine Erklärung und sagte, er wolle sobald wie möglich zu Ahmet Şık.

Nach einer kurzen Pause verkündete das Gericht seinen Beschluss. Im Saal waren nur noch die Anwälte. Nicht nur Şık, sondern auch die Angehörigen der Journalisten waren nicht mehr i nden Saal gelassen worden. Die Richter vertagten die Verhandlung auf den 9. März 2018 und ordneten die Fortsetzung der Haft für die Angeklagten an.

Übersetzung: Sabine Adatepe

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