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Archiv-Artikel

Fortgeschrittene Zerrüttung

RAUSSCHMISS Felix Magath ist in Wolfsburg gescheitert. Der Klub entlässt den Trainer und ersetzt ihn durch Amateurcoach Köstner

„Felix Magath möchte nicht, dass der Verein in Mitleidenschaft gezogen wird“

AUS DER PRESSEMITTEILUNG DES VFL WOLFSBURG

AUS WOLFSBURG CHRISTIAN OTTO

Das muntere Wettrennen der Fotografen hatte es in sich. Vorne, am Haupteingang des Stadions, wurde vergeblich auf den letzten offiziellen Schnappschuss von Felix Magath gewartet. Hinten aber, in der Nähe zu den Trainingsplätzen, konnte sein Nachfolger abgelichtet werden. Die Nachricht, dass sich der VfL Wolfsburg von einem der bekanntesten Trainer der Fußball-Bundesliga trennt, hatte sich schnell herumgesprochen. Aber das große Bedauern, das die Entscheider bei dem vom Volkswagen-Konzern bezahlten Klub formulierten, wurde auch von viel Schadenfreude begleitet. Als Lorenz-Günther Köstner, eigentlich Amateurtrainer des Vereins, am Nachmittag die Nachfolge von Magath antrat, war bei Spielern, Fans und Beobachtern auch große Erleichterung spürbar. „Felix Magath möchte nicht, dass der Verein in Mitleidenschaft gezogen wird“, stand in einer Pressemitteilung, die das Desaster in schöne Worte kleiden sollte.

Der schnelle Fuhrpark, auf den die Angestellten des VfL Wolfsburg zurückgreifen dürfen, war gestern von besonderer Bedeutung. Wer auch immer die Heimreise antreten wollte – sobald sich das Rolltor an der Südseite des Stadions öffnete, gab einen kräftigen Tritt auf das Gaspedal. Die Flucht vor den unangenehmen Fragen hatte schon zur Mittagszeit begonnen, als durchgesickert war, dass Magath als Allesentscheider beim VfL Wolfsburg gescheitert ist. Francisco Javier Garcia Sanz, der dem Vorstand der Volkswagen AG angehört und deshalb auch den Aufsichtsrat der VfL Wolfsburg Fußball GmbH anführt, hatte den Trubel entfacht. Ein Gespräch des Spaniers mit dem Mannschaftsrat eines Teams, das auf den letzten Tabellenplatz abgerutscht war, dürfte Magath um seine allerletzte Chance zur Besserung gebracht haben. Das Verhältnis zwischen dem strengen Trainer und einer völlig verunsicherten Mannschaft muss so zerrüttet gewesen sein, dass selbst der sonst so Magath-treue VW-Manager keinen Sinn mehr in einer Zusammenarbeit sah.

Der Versuch, mithilfe von Köstner einen sportlichen und zwischenmenschlichen Scherbenhaufen zusammenzukehren, kommt einer Offenbarung gleich. Seit mehr als drei Jahren suchen die VW-Entscheider und ihre sportive Tochter einen Weg, um den Erfolg dauerhaft nach Wolfsburg zu zwingen. Aber seit der Meisterschaft im Mai 2009, die Magath mithilfe des genialen Sturmduos Edin Dzeko und Grafite möglich gemacht hatte, sind die Verantwortlichen von einer Fehlentscheidung zur nächsten geeilt. Armin Veh war als direkter Nachfolger von Magath gescheitert. Mit Dieter Hoeneß durfte sich ein Routinier als Manager versuchen, der auch nicht zur Besserung beitragen konnte. Der Engländer Steve McClaren und die Interimslösung Pierre Littbarski konnten nur ganz kurz wirken, bis Magath zurückgeholt wurde.

Den letzten Maßnahmen, zu denen Magath während seiner zweiten Amtszeit beim VfL VW befugt war, muss eine gehörige Portion Ratlosigkeit zugeschrieben werden. Nach dem brasilianischen Spielmacher Diego, der die hohen Erwartungen erneut nicht erfüllen konnte, sollten auch dessen Landsmann Fagner und der Portugiese Vieirinha mit gesonderten Training abseits der gewohnten Kollegen zu besseren Leistungen animiert werden. Es gab eine Zeit, zu der Magath mit seiner wenig feinfühligen Art großen Erfolg hatte. Beim VfL Wolfsburg aber dürfte die Stimmung gegen ihn vor allem deshalb gekippt sein, weil sein selbstbewusstes Handeln im krassen Gegensatz zum ausbleibenden Erfolg stand: zwei geschossene Tore und fünf Punkte nach acht Spieltagen. Und bis auf die zaghaften Versuche von Kapitän Diego Benaglio, der sich immer wieder für Magath ausgesprochen hatte, sind keine Äußerungen von Spielern bekannt, die sich voll und ganz für den Trainer und seine Methoden ausgesprochen haben.

Der vom Amateur- zum Proficoach beförderte Köstner kommt wie eine kleine Magath-Kopie daher. Er ist auch streng, lässt die Spieler hart arbeiten, redet aber auch viel mit ihnen. Das Eingreifen des 60-Jährigen dürfte wie schon in der Rückrunde der Saison 209/10 nur von kurzer Dauer sein. Bei stürmischem Wind und leichtem Nieselregen führte Köstner gestern Nachmittag erstmals die Mannschaft an, die am Samstag bei Aufsteiger Fortuna Düsseldorf antritt.