piwik no script img

Heilige Gesichter

Meinhard Neumann in „Western“, die Schauspielerin Laura Dern als Stoikerin in „Certain Women“ und mit Dauerwellenperücke in „Star Wars“: Was vom Kino dieses Jahr hängenblieb

Von Tim Caspar Boehme

Viel ließe sich sagen über das Kino 2017. Über die Oscar-Verleihung im Februar, bei der dem afroamerikanischen Coming-out-Drama „Moonlight“ – wohl unfreiwillig – zunächst die Trophäe zugunsten des Musical-Blockbusters „La La Land“ versagt wurde. Über die Berlinale kurz zuvor und ihren unerwarteten Sieg der Ungarin Ildikó Enyedi mit ihrer poetisch-ironischen Schlachthausliebesgeschichte „Körper und Seele“.

Über die Berlinale wird auch sonst noch einiges zu sagen sein, seit der offene Brief deutscher Filmschaffender an Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit einer Anregung zum Verfahren der Neubesetzung der Berlinale-Leitung eine Debatte ausgelöst hat. Gegenwärtig ist die Sache wieder etwas verebbt, deren Gegenstand, die offene Nachfolge des 2019 scheidenden künstlerischen Leiters Dieter Kosslick, ist damit aber keinesfalls erledigt, der Entscheidungsdruck wird ja weiter steigen.

Auch die Frage, wie man mit sexuellen Übergriffen in der Branche umgehen soll, wird Thema bleiben.

Statt dieser strukturellen Fragen zu Großereignissen oder Grundproblemen des Filmbetriebs haben sich allerdings ganz andere Dinge eingebrannt. Beim Filmesehen. Da wäre strenggenommen ebenfalls eine Menge zu erzählen. So richtig beeindruckt, genauer: bewegt haben am Ende ein paar eher kleine Dinge. Die strenggenommen gar nicht klein sind. Oder eben spektakulär klein.

Da wäre das Gesicht Meinhard Neumanns in „Western“ von Valeska Grisebach. Der Laienschauspieler gibt in seiner ersten Filmrolle einen Bauarbeiter, der mit seinen Kollegen aus Deutschland in den bulgarischen Wäldern an einem Projekt arbeiten soll. Viel gebaut wird nicht, da es fast durchweg mit der Versorgung hapert. Dafür wird viel gewartet, Zeit totgeschlagen, die Gegend durchstreift, Kontakt zur dörflichen Bevölkerung in der Nähe aufgenommen. Meinhard Neumann ist in seiner Rolle als Meinhard, der Bauarbeiter, besonders gut darin, unaufdringlich ins Gespräch mit Leuten zu kommen, deren Sprache er nicht versteht. Sein Blick strahlt Sanftheit, Misstrauen und Härte zugleich aus, was in seinem kantigen, leicht ausgezehrten Gesicht alles in den Falten zusammenzulaufen scheint. Wenn dieser Meinhard erzählt, er sei in der Fremdenlegion gewesen, möchte man das von dem echten Meinhard gleichfalls glauben. Egal, womit dieser tatsächlich sonst sein Geld verdient hat. Einer von vielen Gründen, die „Western“ zum persönlichen Film des Jahres machen.

Noch so ein Gesicht, das viel erzählt, ohne viele Worte zu machen, ist das von Laura Dern. Die US-Amerikanerin gibt in Kelly Reichardts „Certain Women“ eine Anwältin, Laura, die einen eher undankbaren Fall betreut. Ein Invalide, der seit einem Unfall bei seinem ehemaligen Arbeitgeber behindert ist, der aber sämtliche Ansprüche gegen die Firma verwirkt hat, weil er von ihr ein Kompensationsangebot akzeptiert hat. Dass er jetzt als Arbeitsloser nichts mehr gegen den Laden ausrichten kann, will er nicht einsehen.

Laura, die Anwältin, hat es schwer, ihren Mandanten davon zu überzeugen, dass bei ihm nichts zu machen ist. Dass sie eine Frau ist, trägt nicht unwesentlich dazu bei, dass der Pechvogel ihr nicht recht glaubt und schließlich den Anwalt wechselt. Laura macht zartbittere Miene zum frustrierenden Spiel.

Sanftheit, Misstrauen, Härte: Alles scheint in den Falten seines kantigen Gesichts zusammenzulaufen

Äußerlich eine Stoikerin, merkt man dieser Laura in ihrem Blick gleichwohl die Verletzlichkeit an. Und eine Verhärmtheit, die sich über die Jahre in die Gesichtszüge gefressen hat.

Auf ganz andere Art toll war Dern dann in völlig anderem Zusammenhang, im aktuellen Science-Fiction-Spaß „Star Wars: Die letzten Jedi“. Auch von der Kostümierung her. Wenn man ihre Rolle in „Certain Women“ dagegenhält, mit offenem langen Haar, unauffälliger, leicht vernachlässigter Kleidung und dazu passendem unauffälligem Auftreten, hat es fast etwas von comic relief, sie als selbstbewusste Weltraumkommandantin im enganliegenden Kleid und mit lila Dauerwellenperücke im heroischen Kampf gegen die finsteren Mächte der Galaxis zu erleben. Der Würde ihres Antlitzes nimmt das nichts. Gesichter sind einfach auf ihre Art heilig. In einem ganz immanenten Sinne, ohne religiöse Zugaben.

Und wer noch mehr, zumindest von Laura Dern, zu sehen bekommen möchte, kann sich freuen. Schon zu Jahresbeginn gibt es gleich ein Wiedersehen in Alexander Paynes Schrumpfungskomödie „Downsizing“. Auch wenn das kein bleibender Kinomoment von 2018 sein wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen