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Auch die Geschenkejäger kaufen lieber neu

Iris Köhler hat etwas gegen das Wegwerfen von Dingen, die noch gut sind und funktionieren. Also gründete sie ein Sozialkaufhaus, nur die Kundschaft fehlte

was macht eigentlich

Die meisten Geschichten enden nicht, bloß weil wir einen Artikel darüber geschrieben haben. In unserer Serie rund um den Jahreswechsel erzählen wir sie weiter.

Von Andreas Hergeth

„Es gibt derzeit nur ein Problem: Ihr fehlen die Kunden. Das im November vergangenen Jahres von Iris Köhler eröffnete „Soziale Kaufhaus“ trägt den schönen wie sinnfälligen Namen „… wird noch gebraucht“. Es liegt in Biesdorf, einem Ortsteil von Marzahn-Hellersdorf, am viel befahrenen Blumberger Damm, wo es kaum Laufkundschaft gibt.“ (taz berlin vom 8. August 2017)

Sie sei ja selbstständig, hatte Iris Köhler beim ersten Besuch der taz erzählt. „Nach Feierabend verteile ich Flyer oder hole Waren ab. Ich bin Einzelkämpferin.“ Eine optimistische Person wäre sie aber auch, das ginge gar nicht anders. Wenn „es eines Tages richtig gut läuft“, kann sie sich vorstellen, jemanden einzustellen, Langzeitarbeitslose zum Beispiel.

Doch noch läuft es nicht so gut, im Sommer fehlten Köhler nichts so sehr wie Kunden. „Aber es ist besser geworden“, berichtet sie nun am Telefon. Nach dem Artikel in der taz sei eine Lokalzeitung vorbeigekommen, auch ein Radiosender wollte ein Interview. „Und viele Leute haben den taz-Artikel via Facebook geteilt.“ Danach wären mehr Kunden als sonst ins Sozialkaufhaus gekommen, aber auch die „Bringer wurden mehr“.

Einkaufen kann hier übrigens jede und jeder, nicht nur BerlinerInnen mit kleinem Geldbeutel. Wer aber ganz wenig Mittel und einen entsprechenden Nachweis hat, zum Beispiel Hartz IV bezieht, bekommt noch einmal 20 Prozent Rabatt. Bringer, so nennt Iris Köhler die Menschen, von denen sie ihre Waren bezieht. Viele Leute würden „sich freuen, wenn sie Möbel oder Kleidung, die noch gut zu gebrauchen sind, nicht mehr wegwerfen oder auf ewig im Keller lagern“ müssten. „An Nachschub mangelt es also nicht“, zumal Köhler einen kostenlosen Abholservice anbietet.

Durch das Medienecho kamen „viele tolle neue Sachen ins Angebot“. Zahlreiche Dinge wären darunter, das hat Köhler schon im Sommer betont, die noch in den Originalverpackungen stecken – vor allem Bekleidung. In den Vorweihnachtswochen wäre es deshalb gut gewesen, wenn ein paar mehr Menschen auf der Geschenkejagd bei ihr im Sozialkaufhaus vorbeigeschaut hätten …

In der Tat scheint das Sozialkaufhaus aus allen Nähten zu platzen, so voll ist es. Auf rund 100 Quadratmetern stehen große Einrichtungsgegenstände neben kleinen. Möbel, Lampen, Geschirr und andere Haushaltsgegenstände, Kinderspielzeug und Schuhe, Bekleidungsstücke aller Art und Marken, Bettwäsche und Bücher, Uhren und Nippes. Nichts ist kaputt oder angeschlagen, alles funktionstüchtig und sauber.

Selbstständigkeit aus der Not heraus

Viele Dinge, vor allem Bekleidung, stecken noch in den Originalverpackungen

Sicher, sich selbst umschauen ist bei der Fülle der Dinge und der Begrenztheit des Gebäudes, einer alten aus DDR-Zeit stammenden Baracke, etwas schwierig. Inhaberin Iris Köhler aber ist gut organisiert und ihr Laden bestens sortiert. Wer mit konkreten Vorstellungen zu ihr kommt, dem präsentiert Köhler schnell das ein oder andere Stück.

Mit dem Sozialkaufhaus hat Iris Köhler den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Mit über 50 war sie arbeitslos geworden, weil sie angeblich nicht mehr ins „junge und dynamische Team“ eines gastronomischen Betriebes passte. Sie schrieb Bewerbung um Bewerbung und hatte es irgendwann satt, auf eine Neuanstellung zu hoffen.

Da besann sich Köhler auf eine Strategie aus DDR-Zeiten namens „Sero“ – die Abkürzung stand für Sekundärrohstofferfassung. „Das war ein tolles System“, sagt Köhler, „mit Rohstoffen anders umzugehen.“ Ein System, das auch heute wieder in die Zeit passt, wie Iris Köhler mit ihrem Sozialkaufhaus beweist.

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