: Der Gentrifizierer Marc Samwer
Die Forderung nach einem Runden Tisch mit der Start-up-Branche, um über deren Verantwortungbei der fortschreitenden Gentrifizierung in der Berliner Innenstadt zu reden, ist überfällig
Von Andreas Hartmann
Nächstes Opfer der Gentrifizierung in Kreuzberg: der Privatclub? Norbert Jackschenties, Betreiber des Indieclubs, einer kleinen Institution im Kiez, die seit ihrem Umzug vor fünf Jahren im alten Postamt an der Skalitzer Straße residiert, ist sich sicher: „Die wollen uns hier rauskriegen.“ Die, das sind seine Vermieter, konkreter: Marc Samwer, einer der Samwer-Brüder, die hinter dem Start-up-Imperium Rocket Internet und Zalando stecken. Vor eineinhalb Jahren hat Samwer das Gebäude gekauft und seitdem, so Jackschenties, gebe es „nur Ärger“. Aktuell liegen ihm ein existenziell bedrohliches Mieterhöhungsverlangen und eine Abmahnung samt Kündigungsdrohung auf dem Tisch.
Noch gegenüber dem vorherigen Vermieter habe er eine Option auf Verlängerung des Mietvertrages wahrgenommen. Diese sehe eine Fortsetzung des Mietverhältnisses unter den bisherigen Bedingungen bis Ende 2022 vor. Das wolle der neue Eigentümer des alten Postamtes jedoch nicht akzeptieren und verlange nun eine Mieterhöhung von 100 Prozent. „Das wären dann 22 Euro pro Quadratmeter. Wir sind ein kleiner Club mit moderaten Eintritts- und Bierpreisen. 10.000 Euro Miete im Monat können wir uns niemals leisten“, so Jackschenties. Abgesehen davon sei das Begehren von Marc Samwer nach Ansicht seines Anwalts rechtlich gar nicht statthaft, die Vertragsverlängerung unter den bisherigen Kondition eigentlich bereits unter Dach und Fach, „der Vertrag steht“, sagt er.
Nachverhandlungsangebot
Dennoch habe er versucht, mit seinem neuen Vermieter ins Gespräch zu kommen, ihm angeboten, eine moderate Mieterhöhung nachzuverhandeln. Er habe schließlich ein Interesse daran, mit seinem Vermieter einigermaßen auszukommen, schließlich plane er, auch über das Jahr 2022 hinaus mit seinem Club in der Skalitzer Straße bleiben zu dürfen.
Doch stattdessen kämen von der Gegenseite nur weitere Schikanen. Gleich vier Mal sei innerhalb der letzten eineinhalb Jahre die Heizung in seinem Club ausgefallen und niemand von der Hausverwaltung zu erreichen gewesen. Außerdem packe Marc Samwer das Gebäude mit immer mehr neuen Mietern aus der Start-up-Branche voll, von denen es einige nun nicht hinnehmen wollen, dass es in einem Club auch mal lauter werden kann. Direkt über seinem Laden sei inzwischen eine ganze Etage neu mit Start-ups gefüllt worden. „Der Vermieter“, so Jackschenties, „wäre eigentlich verpflichtet gewesen, einen Schallschutz einzubauen, aber nichts ist passiert.“ Spätestens ab 16 Uhr gehe es in seinem Laden los mit Soundchecks, „da sind unsere neuen Nachbarn natürlich genervt, und das verstehe ich auch“.
Die Lärmproblematik hat zur Abmahnung seitens des Vermieters geführt. Es werde mit der Kündigung gedroht und verlangt, nur noch zwei Mal in der Woche Veranstaltungen durchzuführen. „Das wäre für uns der Ruin“, so Jackschenties.
Einen hohen sechsstelligen Betrag habe er in den Umbau seines Clubs gesteckt, sagt er, „wir haben hier alles selbst gebaut“. Und nun drohe ihm der Rausschmiss. „Warum kommen all die Start-ups hierher“, fragt er rhetorisch, „weil es hier cool ist. Aber warum ist es hier cool? Doch eigentlich wegen uns, die man jetzt nicht mehr haben will. Es ist ekelhaft und absurd.“
Erst vor einem halben Jahr wurde dem Watergate, gleich ums Eck vom Privatclub, von dessen neuem Vermieter die Miete verdoppelt. Lutz Leichsenring von der Berlin Club Commission meinte bereits bei diesem Fall, gegen derartige Mieterhöhungen könne man kaum etwas machen.
Florian Schmidt, Baustadtrat der Grünen in Kreuzberg-Friedrichshain, fordert nun einen Runden Tisch mit der Start-up-Branche, um über deren Verantwortung bei der fortschreitenden Gentrifizierung in der Berliner Innenstadt zumindest mal zu reden. Die Politik, das verlangt auch Jackschenties, müsse nun einfach etwas tun. „Ich fange an, mich hier in Kreuzberg unglücklich zu fühlen“, sagt er.
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