: „Die emotionale Belastung ist enorm“
Die Ärztin Maren Weidner berät seit mehr als zehn Jahren Männer und Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch. Im Interview erzählt sie, welche Probleme ihre Klient*Innen haben und warum sie sich Gesetzesreformen wünscht
Interview Marthe Ruddat
taz: Frau Weidner, was beschäftigt die Menschen mit Kinderwunsch, die zu Ihnen in die Beratung kommen, am meisten?
Maren Weidner: Die ganz große Angst ist, nicht schwanger zu werden und kinderlos zu bleiben. Häufig ist die Ursache, warum es nicht zu einer Schwangerschaft kommt, gar nicht eindeutig. Dann spielen gerade bei Frauen Schuldgefühle eine große Rolle. Sie fühlen sich schuldig dem Partner gegenüber, weil sie ihm das erhoffte Wunschkind nicht schenken können. Hinzu kommt der Gedanke, nicht genug Frau zu sein, einen nicht funktionierenden Körper zu haben. Bei Männern ist das natürlich entsprechend, wenn die Unfruchtbarkeit des Mannes als Ursache für die Kinderlosigkeit feststeht.
Die meisten Paare kommen erst zu Ihnen, wenn Sie bereits mit der Behandlung begonnen haben. Warum?
Ich glaube, viele merken erst dann, welch hohe Belastung mit dem Weg verbunden ist, für den sie sich mit der Kinderwunschbehandlung entschieden haben. Es ist eine Achterbahn der Gefühle. Am Anfang ist die Freude groß, dass es endlich los geht. Und wenn es dann nicht klappt, kann der Absturz sehr tief sein. Auf Dauer ist das eine enorme emotionale Belastung, bei der sie sich dann Unterstützung wünschen. Und zwar meist unabhängig von der Kinderwunschklinik und Freunden und Familie.
Wie helfen Sie den Paaren?
Ich glaube, für die meisten Paare ist es schon ungeheuer entlastend, einen Ort zu haben, an dem sie alles noch einmal erzählen können. Viele haben das Gefühl, dass ihre Familien und Freunde die ganze Problematik nicht mehr hören können. Ein wichtiger Aspekt ist dann einfach das Zuhören. Ich zeige den Paaren auch, dass sie mit ihren Gefühlen nicht allein sind. Dass das, was sie bewegt, viele Frauen und Männer bewegt, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben. Manche Aspekte sprechen die Paare nicht von selbst an. Ich teile dann meine Erfahrung mit Ihnen und erzähle von den Gefühlen, die mir andere Betroffene geschildert haben. Oft sehe ich dann, wie die Klient*Innen große Augen bekommen und sagen: „So geht es uns auch.“
Welche Gefühle sind das?
Neben den Schuldgefühlen ist Neid ein großes Thema. Viele Frauen gestehen es sich nicht gleich ein, aber sie empfinden oft unendlichen Neid gegenüber Schwangeren oder Paaren, die Kinder haben. Das kann so weit gehen, dass es sehr schwer für sie wird, an Familienfeiern teilzunehmen oder sich mit gewissen Freunden oder Freundinnen zu treffen. Die Frauen gönnen den anderen ihr Glück wirklich von Herzen, aber sie sind oft so wütend, traurig oder eben neidisch, dass solche Situationen nur noch schwer zu ertragen sind. Die Beratung hilft, solche Gefühle zuzulassen, darüber zu sprechen und ihnen dadurch vielleicht einen anderen Platz in der Gemengelage zu geben.
Maren Weidner, 62, ist Ärztin und Therapeutin. Sie arbeitet bei Pro Familia in Hamburg und ist Mitglied im Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland.
Empfinden die Männer das genauso?
Männer beschäftigen oft andere Dinge. Sie fühlen sich oft hilflos, weil die Frau vom größten Teil der Behandlung betroffen ist. Sie merken oft gar nicht, wie wichtig es ist, dass sie ihre Frauen zu den Arztterminen begleiten und immer wieder als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Es ist ein gemeinsamer Kinderwunsch, der die Paare in die Kliniken führt, auch wenn der Hauptteil der körperlichen Behandlung bei der Frau liegt. Das ist immer wieder ein wichtiges Thema in den Beratungsgesprächen.
Sie beraten auch homosexuelle Paare mit Kinderwunsch. Spielen dort andere Themen eine Rolle?
Das Finanzielle hat hier eine ganz andere Bedeutung, denn lesbische Frauen müssen ihre Behandlung komplett selbst bezahlen.
Sind die gesetzlichen Regelungen ungerecht?
Es gibt da schon eine Ungleichbehandlung. Der Hintergrund sind zweierlei Dinge: Zum einen gilt es, das vorhandene Geld zu verteilen und die Mittel sind begrenzt. Es können nicht alle Leistungen bezahlt werden. Auf der anderen Seite kommt eine gewisse Haltung der Familie gegenüber zum Tragen. Auch wenn alle sagen, dass Familienformen heutzutage vielfältig sind und Regenbogenfamilien eine genauso große Berechtigung haben wie heterosexuelle Elternpaare. Ich glaube, es gilt immer noch die konservative Sichtweise, dass es richtigere und weniger richtigere Familienkonstellationen gibt.
Bei der Insemination wird das Sperma des Mannes im Labor aufbereitet und mittels eines Katheters entweder in die Gebärmutter, den Gebärmutterhals oder den Eileiter gebracht.
Die In-vitro-Fertilisation (IVF) findet gänzlich im Labor statt. Dafür werden möglichst viele Eizellen entnommen und mit dem Samen zusammengebracht. Die Befruchtung erfolgt selbstständig.
Bei der sogenannten ICSI (Intracytoplasmatische Spermieninjektion) wird der Samen im Labor direkt in die zuvor entnommene Eizelle gesetzt. Sowohl bei der IVF als auch bei der ICSI entwickeln sich binnen zwei bis fünf Tagen Embryonen, von denen bis zu drei in die Gebärmutter der Frau eingesetzt werden.
Es besteht die Möglichkeit, befruchtete Eizellen oder auch Samenzellen einzufrieren, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzutauen. Hier wird von Kryokonservierung gesprochen. Das Einfrieren von Embryonen ist in Deutschland nur in Sonderfällen erlaubt.
Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Auf rechtlicher Ebene muss es eine Gleichbehandlung der unterschiedlichen Lebensformen geben. Auch ein nicht verheiratetes Paar kann eine sehr große Verbindlichkeit miteinander haben und es ist nicht der Trauschein, der das dokumentiert. Hinzu kommt, dass das Embryonenschutzgesetz von 1992 ist. Seitdem hat sich unendlich viel verändert.
Der Reproduktionsmedizin wird vorgeworfen eine riesige Industrie zu sein, die mit der Verzweiflung von Paaren Geld verdient. Haben Sie den Eindruck, es geht nur ums Geld?
Es ist auf jeden Fall ein Bereich der Medizin, in dem viel Geld verdient wird. Das sieht man schon, wenn man in den Kliniken zur Tür reinkommt. Nach den Rückmeldungen von Klientenpaaren machen die meisten Ärzte durchaus deutlich, ob sie eine Behandlung für sinnvoll halten oder nicht. Die Karten werden offen auf den Tisch gelegt. Den Schritt, eine Behandlung gänzlich abzulehnen, weil sie wenig erfolgversprechend ist, gehen sie jedoch nicht. Das macht es für die betroffenen Paare natürlich noch schwieriger, denn so eine Behandlung ist auch Vertrauenssache. Sie wollen nur so weit wie nötig gehen und müssen sich dabei auf die Aussagen der Ärztinnen und Ärzte verlassen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen