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Shopping in Hohenwutzen

Preiswerte Zigaretten und Dauerwellen oder Kitsch mit Katzenmotiven – solche Angebote ziehen vor Weihnachten viele BerlinerInnen auf die sogenannten Polenmärkte. Ab Marzahn fährt täglich ein Bus

Von Natalie Stoeterau

„Der Bus fährt um neun hinter der Tramstation „Allee der Kosmonauten/Rhinstraße ab. Kommen Sie besser’ne Viertelstunde früher. Samstags und am Monatsanfang ist der Shuttle-Bus erfahrungsgemäß gut besucht!“, sagt Nicolas Gesch am Telefon. Er ist Geschäftsführer des Polenmarkts in Hohenwutzen. Rund 70 Kilometer von Berlin entfernt liegt dieser größte „Polenmarkt“ oder „Grenzbasar“, wie ihn der Betreiber nennt – wie der Name sagt, im Grenzgebiet von Deutschland und Polen.

Seit der Wende sind Polenmärkte ein Synonym für billigen Ramsch, Kitsch und gefälschte Markenklamotten geworden. Die meisten Deutschen fahren zwar vor allem wegen der günstigen Zigaretten- und Spritpreise zum Grenzmarkt nach Hohenwutzen, die Auswahl an den über 700 Ständen ist aber riesig. Wer günstige Weihnachtsgeschenke sucht, kann sie hier finden: Fahrräder, Kinderspielzeug, Nippesfiguren, Bekleidung sowieso und Erotikartikel obendrein.

Seit drei Jahren fährt an sieben Tage die Woche ein Shuttle-Bus von der Allee der Kosmonauten in Marzahn nach Hohenwutzen, dreimal am Tag. Eine einfache Fahrt kostet 5 Euro, hin und zurück 10.

Vor dem Bus wird noch geraucht, aber pünktlich um 9 Uhr geht es wie angekündigt los. Busfahrer Miroslaw Kolodzeczyk lächelt. Das meiste von dem, was seine Fahrgäste sagen, versteht er nicht, „nur Polnisch“. Der Bus ist ausgebucht.

Angela Necef, rote Haare, freundliches Gesicht, fährt regelmäßig „so einmal im Monat“ mit dem Bus zum Polenmarkt. „Kommen Sie aus Marzahn?“ – „Nein, aus Kreuzberg!“, sagt sie und lacht. Diesmal fährt Frau Necef auch wegen Weihnachtsgeschenken mit. „Der Silberschmuck ist günstiger als in Deutschland und oft auch ausgefallener“ sagt die 56-Jährige im dünnen Strickpullover aus rosa, grau und weißen Fäden. Für eine Freundin möchte Frau Necef nach einem Geschenk mit Katzenmotiven suchen, dann noch etwas essen und Kaffee trinken. Um Viertel vor zwei will sie den Bus zurück nach Berlin nehmen. Draußen kommt die Sonne zart hervor, der Bus fährt auf der A 10 Richtung Frankfurt (Oder). Über den Feldern hängt noch der Frühnebel. Unter den Stammgästen sind auch zwei Freundinnen aus Marzahn, die immer gemeinsam zum Polenmarkt fahren. „Ich hab da meine Friseurin“, sagt die Mittvierzigerin, die auf der Rückfahrt rote Strähnen im dunklen Haar tragen wird. Ihre Freundin möchte Lebensmittel kaufen. „Käse und Weißbrot. Das schmeckt mir besser als in Deutschland.“ Dazu Zigaretten. „Das Übliche eben“, sagen beide.

Wann ist der beste Tag zum Weihnachtsshopping auf dem Polenmarkt für die Freundinnen? „Am 24.! Da haben sie in Polen offen, in Deutschland nicht.“

Kurz hinter der Oder-Grenze ist der Polenmarkt Hohenwutzen auf dem Gelände und in den Gebäuden einer ehemaligen Zellstoff- und Papierfabrik aus den 1930er Jahren untergebracht. Draußen vor der beheizten Markthalle stehen die ersten Stände unter großen Schirmen mit Zigarettenschachteln in Rot, Gelb, Grün, daneben die Gemüseauslage mit Tomaten, Kartoffeln und Weißkohl. Einige Mitreisende fahren mit den erlaubten vier Stangen Zigaretten im Gepäck gleich wieder mit zurück nach Berlin.

Frau Necef aber will erst einmal in die „Große Halle“, um nach Angeboten zu suchen. Sie kommt seit vier Jahren regelmäßig zum Polenmarkt. 2015 wurden Straßennamen auf dem riesigen Außengelände des Marktes eingeführt. Hauptverkehrsstraße ist der „KuDamm“. „Früher ohne Orientierung war es schwierig, Händler wiederzufinden, wenn man Preise vergleichen wollte.“ Kann man noch handeln? „Ja, ein bisschen, außer bei Zigaretten“.

Vom Oberring in der Großen Halle hat man einen guten Blick auf die zahllosen Produkte im Unterring. Auf Kleiderbügeln hängen Strickjacken in Blau, Braun und Grün aus weicher Wolle. Kinderkleidung in Rosa mit roter Schrift. Stapelweise T-Shirts in allen Farben. Manchmal gibt es sogar echte Trends auf dem Polenmarkt. „Vor drei Jahren hatte jeder Stand Ed-Hardy-Klamotten“, erinnert sich Angela Necef.

Das Angebot wird freundlich präsentiert und ist ordentlich gestapelt. „Dzień dobry! Was kostet diese Jacke?“ – „65 Euro.“ Plötzlich Aufruhr unter den polnischen Händlerinnen. Einer jungen Frau werden Kleidungsstücke aus der Tasche gezogen. „Policja!“. Zwei deutsche Mädchen verschwinden lieber. „Lass uns abhauen!“, zischt die eine der anderen zu.

„Klauen auf dem Polenmarkt?“ Frau Necef schüttelt den Kopf. „Ja, man muss schon hingucken bei den Preisen. Ein Pullover, der mir gefallen hat, sollte 31 Euro kosten, das krieg ich dann auch in Berlin.“ Frau Necef mag Schnäppchen, schätzt aber auch die gute Qualität auf dem Polenmarkt. Insbesondere wenn es um Schmuck geht: „Es ist ja das gleiche Silber. Ist aber in Deutschland viel teurer.“ In der kleinen Halle betrachtet sie ausführlich den Bernsteinschmuck: „Schöne Sachen.“

Draußen scheint die Sonne, und es ist mit 1 Grad Celsius winterlich kühl. Händler im Außenbereich zeigen ihre Angebote für weihnachtliche Beleuchtung im Garten. Santa-Claus-Schlitten, künstliche Weihnachtsbäume in Grün, Weiß oder Rosa, stabil und mit Beleuchtung für den Garten oder – etwas filigraner – für das Wohnzimmer.

„Wie läuft das Weihnachtsgeschäft hier auf dem Polenmarkt?“ – „Gazeta? Ja, Sie können alles fotografieren!“ Der Standmanager versteht die Frage nicht und ist misstrauisch. Eine ältere Dame aus Deutschland, kurze graue Haare, ist stattdessen bereit zu erzählen. Sie hat sich heute einen künstlichen Weihnachtsbaum für 15 Euro gegönnt. Nach Geschenken hat sie auch geguckt, aber nichts gekauft. „So vor zehn Jahren waren die Polen auf dem Markt deutlich billiger.“ Die kleine Frau kommt alle fünf Wochen mit ihrer Schwiegertochter zum Haareschneiden auf den Polenmarkt. „Waschen, Schneiden, Legen: 11 Euro, Dauerwelle kriegen Sie hier schon für 25 Euro, ansonsten haben die Preise ganz schön angezogen“, erzählt die Rentnerin. „Früher haben Sie hier Pullover für 10 Euro gekriegt, heute zahlen Sie auch schon 20 dafür.“

Frau Necef mag Schnäppchen, schätzt aber auch die gute Qualität auf dem Polenmarkt

Frau Necef kauft am liebsten auf einem kleineren Markt in der Nähe ein. „Die Preise sind da günstiger“, sagt sie. Der Markt ist eine Viertelstunde zu Fuß vom großen Markt im Grenzgebiet Hohenwutzen entfernt, er befindet sich in Polen.

Auf dem Weg dahin stehen echte Weihnachtsbäume, „Choinki“, aufgereiht im Angebot, es duftet nach Tannenwald. Auch auf dem polnischen Markt sprechen die Händler Neuankömmlinge direkt an: „Zigaretten?“ Die Gemüsestände sind voll beladen mit Möhren, Kürbissen und Kohlsorten aus der Region. Der Stand daneben hat Kaninchen und Geflügel im Angebot. Frau Necef kauft ein Kissen mit Katzenmotiv, das als Geschenk mit nach Berlin kommt.

Auf dem „Grenzbasar“ in Hohenwutzen teilen sich ein Erotikshop und ein Geschäft für Autozubehör einen Container. Im Erotikbereich gibt es neben Dessous, Gummipuppen und Dildos auch Parfüm. Die Verkäuferin berät eine Frau mit norddeutschem Tonfall, die einen bestimmten Duft sucht. Als Weihnachtsgeschenk? „Nee, dafür sind die Namen zu komisch.“ Auf dem Polenmarkt werden keine Edelmarken gefälscht, sondern preisgünstige Imitate verkauft. Die Parfüms heißen dann halt „Lara“ oder „Jurp!“. Ein Hauch von „Chatier“ durchzieht den Container.

Um 13.45 fährt ein Shuttle-Bus zurück nach Berlin. An der Bushaltestelle erzählt man sich von der Schnäppchenjagd: „10 Paar Wollsocken für 8 Euro.“ Auf der Rückreise gibt es eine Zollkontrolle: „Alle aussteigen mit Handgepäck zur Kontrolle!“ Wieder Verzögerung, Zigarettenpause. Busfahrer Kolodzeczyks Telefon klingelt. Er seufzt „Katas­trofa!“ in die Freisprechanlage. Dann geht es endlich weiter. Weitere Störungen gibt es auf der Rückreise nach Marzahn nicht. Schon tauchen die ersten Plattenbauten an der Märkischen Allee auf. Die Butterfahrt ist bald zu Ende.

Dieses Jahr wird Angela Necef nicht mehr mit dem Shuttle-Bus nach Polen fahren. Nächstes Jahr ist sie wieder dabei. Am grauen Plattenbau mit der bunten Werbung, Start und Ziel des Shuttles-Busses, verabschieden sich einige Stammgäste von Busfahrer Miroslaw Kolodzeczyk: „Bis zum nächsten Mal! Do widzenia! Tschüß!“

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