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Wenn das Radiergummi zum Instrument wird

Der Pianist Hauschka ist ein Meister des präparierten Klaviers. Mit dem Debüt „Substantial“ von 2004 fand er eine Nische zwischen Elektronik, Jazz und Neuer Musik, die heute viele Nachahmer findet.

Er nennt diesen so populären Sound eher despektierlich „eine Vorstufe von Sigur Rós

Von Stephanie Grimm

Freunde der Volksbühne haben im vergangenen Jahr viel durchgemacht. Wie schön, dass wenigstens das Musikprogramm Kontinui­tät bietet: Wie jedes Jahr kann man sich hier vom Feiertagsstress erholen und das neue Jahr mit Musik begrüßen – entspannt, in bestuhltem Ambiente. Das Neujahrskonzert ist inzwischen eine geliebte Tradition. Erfreulicherweise spielt zu diesem Anlass nach einem schwachen Jahr jemand, den man gut findet: Pianist Hauschka. Sein Sound passt zum Geisteszustand, mit dem man dem neuen Jahr idealerweise begegnet: gelöst, verpeilt, freundlich nachfragend und ein bisschen introspektiv.

Dass Hauschka mit seinem präparierten Klavier die Volksbühne füllen kann, hat er bereits bei einem früheren Gastspiel gezeigt. Diesmal ist das Alma Quartet dabei, ein Streichquartett, dessen Mitglieder auch im Royal Concertgebouw Orchestra spielen, dem renommiertesten Sinfonieorchester der Niederlande, das auch gerne jenseits etablierter Klassikwelten spielt. Kennengelernt haben sich Hauschka und die vier Musiker vor drei Jahren bei einem Auftritt anlässlich der Abschiedsparty des legendären Amsterdamer Technoclubs Trouw. Hauschka war so begeistert, dass er Stücke für sie schrieb, gemeinsame Auftritten folgten.

Im wirklichen Leben heißt Hauschka Volker Bertelmann und hatte eine mäßig erfolgreiche Karriere als HipHopper hinter sich, als er das favorisierte Instrument seiner Kindheit für sich wiederentdeckte. Als er 2004 sein Klavierdebüt „Substantial“ veröffentlichte, hatte er jedoch angeblich noch nie von John Cage und dem von ihm erfundenen präparierten Klavier gehört, einer Technik, mit der man Klaviersaiten mit Fremdkörpern wie Radiergummis oder Nägeln bearbeitet, um den Klang zu verändern. Das zweite Album nannte er dann, ein Kopfnicken in Richtung der Ahnengalerie muss schon sein, pflichtschuldig „The Prepared Piano“.

Seither experimentiert er mit allem, was er so an Sounds aus seinem Instrument herausholen kann. Seine erste Tour musste er seinerseits übrigens mit einem Keyboard absolvieren, die Sounds des präparierten Klaviers hatte er auf Mini-Disk gespeichert, erzählt er im Telefoninterview. Dass man als Pianist jenseits des Klassikbetriebs auf Tour geht, schon gar als jemand, der den geliehenen Flügel mit Tischtennisbällen und Ähnlichem traktiert, sei seinerzeit keine Option gewesen. Schlicht und einfach, weil niemand ihm einen Flügel leihen wollte. Hauschka ist damit ein Vorreiter des aktuellen Klavierbooms an der Schnittstelle von Pop, Elektronik und Klassik.

Künstler wie Nils Frahm, Chilly Gonzales, die Grandbrothers oder Martin Kohlstedt schaffen es, immer größere Hallen auszuverkaufen. Auch Hauschka tourt viel und bespielt am Tag vor dem Volksbühnenkonzert mit dem Alma Quartet die Elbphilharmonie – wenn er nicht gerade Eigenes komponiert oder an Filmscores arbeitet, etwa für das Oscar-nominierte Drama „Lion – Der lange Weg nach Hause.“ Bisweilen fühle er sich, wie ein älterer Bruder, der den Nachfolgern den Weg geebnet habe, erzählt er. Auch wenn er, durchaus mit guten Gründen, eher ungnädig auf das blickt, was da nachwächst: „Zum einen ist es natürlich leichter geworden, mit dem Klavier sein Geld zu verdienen. Was aber nie leichter wird, ist die Frage, wo man eigentlich hinwill. Der nächste Schritt kann nicht sein, dass immer mehr süßliche Klavierplatten mit Indie-Ansatz entstehen.“ Er nennt diesen so populären Sound eher despektierlich „eine Vorstufe von Sigur Rós. Einige der Leute, die sich so modern finden, erinnern mich daran, was ich als Kind gehört habe. Im weitesten Sinne ist das Richard Claydermann. Auch wenn dann noch eine Drum-Machine druntergelegt wird.“

Hauschka lässt wenig Zweifel daran, dass er sich abgrenzen möchte von dem, was derzeit in seiner Nische passiert. Mit seinen letzten beiden Alben „Abandoned City“ und „What If“ habe er verstärkt das Gefühl, er müsse „gegen diese Neoklassik-Soße angehen.“ Von diesen letzten Alben wird es an Neujahr einiges zu hören geben. Insgesamt ist ein Querschnitt durch Hauschkas Schaffen geplant, mit Schwerpunkt auf den Stücken, die er für Streicher geschrieben hat sowie selten live vorgestellte Auftragsarbeiten wie die fürs Folkwang Kammerorchester Essen: „Materials“ wurde im vergangenen Januar in der Zeche Zollverein uraufgeführt, ein ehemaliges Steinkohlebergwerk, das heute Industriedenkmal ist. Dafür hat Hauschka sich klangforschend mit den Materialien befasst, die zur Eisengewinnung genutzt werden, „Koks und Schlack“ heißt ein Stück.

Wenn Hauschka dann nach dem Konzert sicher wieder am Merch-Stand signieren wird, sollten Fans ihn bitte nicht loben, etwa indem man etwa sagt: „Das war ja ganz schön.“ Das mag er nämlich gar nicht.

„Bei so was stellen sich mir die Nackenhaare auf.“ Weil es ihm beweist, „dass beim Zuschauer kein innerer Prozess stattgefunden hat“. Na ja, das muss vielleicht an Neujahr auch nicht sein. Vielleicht reicht es einfach, auf das Kopfkino zu vertrauen, das in seiner Musik steckt. Wie in den Gedankenspielen des letzten Albums, „What If“, wo philosophische Gedanken reflektiert werden wie „Constant Growth Fails“ oder „Trees Only Exist in Books“. Also: in den Sessel fläzen und das neue Jahr mit optimistischen Dystopien begrüßen.

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