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Unterm roten Pappmond

Glotzt nicht so romantisch: Brechts „Trommeln in der Nacht“ an den Münchner Kammerspielen beginnt mit einem Remake der Uraufführung am selben Ort

Ein ganz eigener Verfremdungseffekt: Die Kleinbürgerwohnstube erinnert an das Bühnenbild von 1922 Foto: Julian Baumann

Von Sabine Leucht

Nils Kahnwald spricht in ein herabhängendes Mikro hinein, das gleich folgende Stück annoncierend: „Trommeln in der Nacht“, uraufgeführt am 29. September 1922. Und als er mit Feuchtwanger von „Kot und Not des Krieges“ und der „provisorisch bemalten“ Uraufführungskulisse erzählt, richten hinter ihm die Bühnenarbeiter den Schauplatz ein.

Es ist der 14. Dezember 2017, und an den Münchner Kammerspielen – und damit am selben Ort wie 95 Jahre zuvor – wird Bertolt Brechts frühes Revolutionsstück gegeben. Nur dass der Regisseur diesmal nicht Otto Falckenberg heißt, sondern Christopher Rüping. Der hat im Zuschauerraum Plakate aufhängen lassen, auf denen wie damals steht: „Glotzt nicht so romantisch!“, und nachdem die Schauspieler sich auf offener Bühne umgezogen haben, tritt eine bleierne Schwere auf den Plan.

Ganz in Schwarz, mit starren Mienen und stur gegen Satzbau und -sinn anarbeitender Intonation stehen und sitzen Wiebke Puls und Hannes Hellmann als Mutter und Vater Balicke, Wiebke Mollenhauer als deren Tochter Anna und Kahnwald als ihr Baldverlobter Friedrich Murk steif in der Kleinbürgerwohnstube von Jonathan Mertz (2017) respektive Otto Reigbert (1922) herum wie die dahinter aufragenden Hochhausattrappen: an ihre Rollen, ja an Schauspieler nur erinnernd wie diese an das Dickicht der Großstadt Berlin. Hier wird ganz offenbar eine Leiche wiederbelebt und zugleich der Abstand zu ihr beschworen, während einer, den alle für tot hielten, als matschbeschmierter Golem hereintritt: Annas seit vier Jahren im Krieg verschollener Exverlobter Kragler!

Dass uns Rüping mit diesem Remakebeginn womöglich eine Nase dreht, denkt man erst, als im zweiten Akt der hyperdramatisch klingende „Originalsoundtrack“ hereinschallt. Matthias Lilienthals Hausregisseur schickt seinen szenischen Behauptungen Fragezeichen nach und treibt spielerisch Keile zwischen „Original“ und Kopie – darin Brechts Verfremdungseffekt, der 1922 noch in den Kinderschuhen steckte, auf eigene Weise weiterspinnend. Dem Stück selbst hat er eine Menge Figuren genommen, aber weder seine Komplexität noch seine saft- und kraftstrotzende Sprache. Ein Pappmond leuchtet rot. Und in die Inszenierung kehrt mit der Inbrunst, mit der Christian Löber Annas Namen ausspricht, Leben ein. Sich selbst beschreibt Kragler als „altes Tier“ mit „einer kranken Sprache im Hals“, die fremdkörperhaft auf die herrschende Mittel-zum-Zweck-Rhetorik („Stark sein im Schmerz“) trifft.

Derartige Kontraste inszeniert Rüping subtil, friert immer wieder Begegnungen und Bilder ein und lässt sie sich mit Bedeutung aufladen. So steht etwa die Konfrontation von Murk und Kragler so lange still, wie Damian Rebgetz braucht, um einem unsichtbaren Eindringling das Stück zu skizzieren. Erst auf Deutsch, dann auf Englisch – und schließlich in Streit geratend darüber, dass er hier nicht hingehört.

Diese scheinbare Petitesse ist nur eine Variation des zentralen Themas der Deplatziertheit, die neben Kragler auch Rebgetz verkörpert. Seine Rollenfunktion ist die des Journalisten Babusch, der von den Unruhen im Zeitungsviertel berichtet, wo sich der Spartakusaufstand formiert.

Rebgetz ist aber auch der feixende Beobachter, der die nicht ausgespielten Emotionen der anderen mittels Melodien und Lyrics kommentiert und verhöhnt. Dauernd singt er Michael Jacksons „Billie Jean“ oder Soul-Classics wie „When a Man Loves a Woman“, passt „House of the Rising Sun“ der Melodie von Smetanas „Moldau“ an und bekommt als nerviger Eindringling in die feste bürgerliche Burg auch mal eine Glasflasche über den Kopf gezogen.

Auch das Thema Revolution passt in diesen Eindringling-Kontext, der sich Kragler ja nur anschließt, weil er bei Anna vorübergehend abblitzt. Weshalb der Schluss „von Brecht“, mit dem die Premiere endete, ­stück­immanent folgerichtig ist: Das Paar verlässt den Schauplatz der Politik für ein „großes, weißes, Bett“. Hand in Hand treten Mollenhauer und Löber dabei an die Rampe, mit ganz viel Spott und Zweifel in Gestus und Stimme.

Ein zweiter Schluss „nach Brecht“ wird an den Kammerspielen in den folgenden Aufführungen alternierend mit diesem gezeigt werden, in dem offenbar das Wohl der Gesellschaft gewinnt.

Ob auch in diesem Fall am Ende die Kulissen geschreddert werden und Nils Kahnwald eigenhändig den Mond zerbricht? Der szenische Auflösungsprozess jedenfalls hat schon lange vorher begonnen und in der Szene in der „Schnapsdestille“ einen rätselhaften Höhepunkt erreicht, in der die Akteure in futuristischen Plastikgewändern zwischen Lichtmonolithen in Mikros sprechen. Vielleicht ist einiges hier um des bloßen Effektes willen so und nicht anders geworden, faszinierend aber bleibt der Abend bis zuletzt.

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