berliner szenen: In irgendwie bekennerhafter Unterhose
Oft war ich schon an der Praxis vorbeigegangen und hatte geguckt und gezögert, weil meine sogenannten Gesundheitsbeschwerden in verschiedene Fachgebiete fallen und ich mir von der Behandlung eigentlich nichts versprach. Schließlich war ich dann doch mit meiner Überweisung in die Praxis reingestiefelt und hatte auch gleich einen Termin für nächste Woche bekommen.
Der Tag ist da. Ich habe schlecht geschlafen, die Dusche geht nicht richtig, beim Friseur war ich zuletzt vor einem halben Jahr gewesen … eigentlich sehe ich furchtbar aus.
Es ist kurz vor acht. Während ich eine Zigarette zum Kaffee am Schreibtisch rauche, denke ich an meine Schulzeit, wie schön es immer gewesen war, schnell noch vor dem Unterricht zu rauchen und Musik zu hören. Ich schütte mir noch ein bisschen Odol in den Mund, bevor ich gehe. Weil ich so früh schon aus der Wohnung bin, fühle ich mich nützlich und wie ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft.
Die Physiotherapeutin hat eine warme Ausstrahlung, man vertraut ihr gleich. Während ich meine Geschichte erzähle, achte ich darauf, den Mund nicht zu weit zu öffnen.
Sie knetet da und dort und sagt, sie wisse auch nicht, sie hätte noch nicht so viel Berufserfahrung.
Als ich mein T-Shirt ausziehe, schäme ich mich kurz, und später ist es mir peinlich, dass ich eine Unterhose mit der Inschrift „RAF“ trage.
Eine Freundin hatte sie mir als anonyme Sendung vor zwei Jahren in meinen Briefkasten gesteckt. Ihr Freund, ein begnadeter Entertainer, war auch dabei gewesen.
Die Unterhose hatten sie in Indien gekauft und es witzig gefunden, sie mir in den Briefkasten zu stecken. Und ich hatte mich kurz über ihren bescheuerten Humor gewundert, es letztendlich aber auch lustig gefunden. Aber auch nicht richtig.
Detlef Kuhlbrodt
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