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Auch in Deutschland kommen Hochhäuser auf den Prüfstand

Brandschutzvorschriften werden nicht eingehalten, brennbare Materialien werden verbaut: Die Liste der Mängel im deutschen sozialen Wohnungsbau ist ziemlich lang. Erste Häuser wurden bereits geräumt

Von Hanna Voß

Nach der Brandkatastrophe in London wurden auch in Deutschland zahlreiche Hochhäuser neu begutachtet. Mit teils dramatischen Folgen: In Dortmund mussten Ende September mehr als 750 Menschen ihre Wohnungen verlassen, sie wurden in Notunterkünften und provisorisch eingerichteten Wohnungen untergebracht. Während einer Brandschau Ende August waren in dem Wohnkoloss Hannibal II gravierende Brandschutzmängel festgestellt worden. Die Liste der Feuerwehr ging zum zuständigen Bauordnungsamt, knapp drei Wochen später fand eine sogenannte Nachschau statt. Die aufgelisteten Mängel wurden erneut begutachtet – und neue gefunden. Manche Vorrichtungen in dem Haus entsprechen demnach nicht einmal ansatzweise dem Brandschutz.

Zwei Tage später standen Busse vor dem Hannibal, um seine Bewohner*innen aus dem Haus, das sich im Brandfall in Sekundenschnelle in eine monströse Fackel verwandeln könnte, in Sicherheit zu bringen. 753 Menschen mussten innerhalb weniger Stunden ausziehen. Viele kamen zunächst bei Freunden und Bekannten unter, andere in einer Sporthalle. Ehemalige Flüchtlingsheime, in der Regel Container, wurden reaktiviert. Auf Informationsveranstaltungen wurden die Bewohner*innen in den folgenden Wochen auf dem Laufenden gehalten, wie es nun weitergeht, schließlich dann mit einem ernüchternden Ergebnis: Mindestens zwei Jahre wird es dauern, um die Mängel an dem riesigen Gebäude zu beheben, frühestens dann könnten einige von ihnen womöglich dorthin zurückkehren.

Bereits knapp zwei Wochen nach dem Brand in London war ein Hochhaus in Wuppertal wegen Brandschutzmängeln evakuiert worden. Ähnliche Baumaterialien wie beim Grenfell Tower sollen dort bei der Fassadendämmung genutzt worden sein. Bei einem Brand wären in dem elf Stockwerke hohen ­Gebäude in 86 Wohnungen rund 72 Bewohner*innen betroffen gewesen. Während der letzten Brandschau seien brennbares Isoliermaterial und eine Unterkonstruktion aus Holz festgestellt worden, erläuterte damals Wuppertals Baudezernent. Es gebe keine Brandmeldeanlage in dem Haus, und die Fluchtwege könnten im Fall eines Feuers schnell durch Rauch blockiert sein. Während die Menschen in ihren Übergangslösungen ausharrten, wurde die ­Fassadendämmung abgerissen.

Auch in Dresden, Braunschweig und Northeim kam es zu Zwangsräumungen, weil die Brandschutzvorschriften nicht eingehalten waren. In den meisten Fällen mussten die Bewohner*innen ihre Bleibe innerhalb nur weniger Tage oder gar Stunden verlassen.

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