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Konventionen unterlaufen

Sprechende Bäume und Sex mit Möbeln: Die zweite Ausgabe des Berlin Experimental Film Festivals im Kino Movimento bietet ungewöhnliche filmische Beiträge

Von Andreas Hartmann

Eine sterbende Kiefer in Griechenland verabschiedet sich wortreich aus dem Leben, man blickt auf die Welt aus Sicht einer Katze, ein Fötus versucht, sich im Mutterleib auf das Leben da draußen vorzubereiten – bei der zweiten Ausgabe des Berlin Experimental Film Festivals werden in einigen Beiträgen fürwahr ungewöhnliche Perspektiven eingenommen. Experimenteller Film, so viel ist klar, kann eben auch bedeuten, dass mal ein Baum spricht.

Ganze 52 Experimentalfilme aus 24 Ländern werden bei dem kleinen Festival, das auch einen Wettbewerb hat und die besten Beiträge von einer Jury prämieren lässt, im Kreuzberger Moviemento zu sehen sein. Die meisten Beiträge sind Kurzfilme, was sicherlich auch daran liegt, dass so gut wie alle Produktionen nur sehr beschränkte finanzielle Möglichkeiten hatten. Sich einen Film finanzieren zu lassen ist eh eine Sache für sich, und bei ausgewiesenen Experimentalfilmen stehen Geldgeber erst recht nicht Schlange. Doch genau dafür fühlt sich das Festival verantwortlich, für kleine Filmversuche aus der ganzen Welt, die vom schieren Willen getragen werden, formal und inhaltlich Konventionen des Formats Film zu unterlaufen, und sicherlich nicht von irgendwelchen kommerziellen Vorstellungen.

Was genau ein experimenteller Film ist, das ist heute schwer zu sagen. Dogma-Filme, die subjektive Wackelkamera in „Blair Witch Project“, das horizontale Erzählen in Serien – was als ungewöhnliches Formexperiment beginnt, kann schnell zum Normalsten der Welt werden. An Klassikern der avantgardistischen Filmsprache wie „Der andalusische Hund“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí oder „La Chetée“ von Chris Marker knabbert man als Betrachter dagegen auch nach dem hundertsten Sehen noch herum und versucht sie zu dechiffrieren.

Auch beim Kreuzberger Experimentalfilmfestival gibt es Filme, die sich einem mal schneller, mal langsamer und mal gar nicht erschließen. Und wenn man gar nicht durchblickt, bleiben immerhin vielleicht noch Erkenntnisse wie die aus dem Film „Marcelle“ von Aitan Ebrahimoff, dass es wahnsinnig bescheuert aussieht, wenn ein Schauspieler eine goldene Jacke trägt und raucht, während ihm ein Hoden aus der Unterhose rutscht.

Was man schnell lernt bei diesem Filmfestival, ist, wie befreiend es sein kann, mal gar nicht den Sinn oder Unsinn von Bildern und Szenen zu hinterfragen, sondern diese einfach nur auf sich wirken zu lassen. „Eine Gruppe von Kindern im Wald. Zwei Mädchen erforschen ihren eigenen Weg. Eines von ihnen schläft ein“, so etwa die Synopsis des portugiesischen Films „Blind Body“ von Diogo Vale, die die Handlung des Streifens absolut hinreichend beschreibt. Diese klingt tatsächlich nicht nach dem Stoff, aus dem man Blockbuster macht, aber dann streift der Wind durch das knackende Gehölz in diesen traumhaft-meditativen Schwarz-Weiß-Bildern und man verliert sich langsam in diesen wie die Mädchen zwischen den Baumstämmen.

Nichts ist undenkbar

Das Spektrum des experimentellen Erzählens ist ziemlich weit gesteckt bei diesem Festival. Experimentell heißt schließlich auch: alles geht, nichts ist undenkbar. Dementsprechend versucht man es auch mal mit einer Animation wie in „Limbo Weeks“ oder mit einer Foto-Erzählung wie der Engländer Robert Duncan in „The Phantom.“ Langeweile, weil ein Filmexperiment dem andern ähnelt, wird bei diesem Wochenende im Zeichen der internationalen Film­avantgarde jedenfalls nicht aufkommen.

Da gibt es das klare Formexperiment wie in der Berliner Produktion „Doors of Perception“, das ganz mit Schwarzlicht gedreht wurde und mit Hilfe von UV-aktiven Stoffen eigenwillige Effekte entstehen lässt. Da gibt es die poetisch-sinnliche Erzählung „The Eternal Journey“ von Sunil Pandey aus Nepal, der seine Großmutter in langen Einstellungen bei ihrer der Hindu-Mythologie folgenden Flussfahrt verfolgt, genauso jedoch einfach nur haarsträubenden Klamauk.

Beispielsweise „Furniture Porn“, wo mit der Ledercouch kopuliert, zum Ikea-Katalog onaniert und in der Gruppe in einen Kühlschrank reingewichst wird. Manchmal, wie auch bei diesem Film, scheint „Experimentell“ eher ein Euphemismus für Quatsch zu sein, auch wenn der Möbelporno streckenweise sogar ganz lustig ist. Vielleicht aber muss man sich „Furniture Porn“ auch nur so oft ansehen wie „Der andalusische Hund“, um seinem Geheimnis wirklich auf die Spur zu kommen.

Berlin Experimental Film Festival: Kino Moviemento, Kottbusser Damm 22, 16.–17. 12., Programm & Infos unter: berlin-experimental.com

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