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Der Terror in Nigeria ist nicht verschwunden

Der Selbstmordanschlag von Mubi mit 58 Toten zeigt, dass Boko Haram noch nicht besiegt ist. Misstrauen tritt an die Stelle des multireligiösen Miteinanders

Die Zahl der Binnenflüchtlinge in Nigerias Nordosten stagniert bei mehr als 1,7 Millionen

Von Katrin Gänsler, Cotonou

Es ist ein riesiger Schock für die Handelsstadt Mubi im Nordosten Nigerias gewesen. Bei einem schweren Anschlag auf die Madina-Moschee im Stadtteil Yelwa am Dienstag während des Morgengebets sind 58 Menschen ums Leben gekommen, wie mittlerweile bestätigt wurde. Mehr als 60 Personen wurden zum Teil schwer verletzt.

Laut einem Bericht der Zeitung Daily Trust kam es am Tag danach zu einem ersten Massenbegräbnis für 22 Personen. In Mubi, zweitgrößte Stadt des Bundesstaat Adamawa an Nigerias Grenze zu Kamerun, leben rund 100.000 Menschen. Man kennt sich. Das Zentrum mit dem Markt wirkt eher wie ein großes Dorf.

„Es ist einigermaßen ruhig“, beschreibt Ishaya Vandi, der für die nichtstaatliche Initiative zur Stärkung von Frauen und Jugendlichen (WYEAHI) in Mubi arbeitet, einen Tag später die Stimmung. Seit dem Anschlag würde es allerdings mehr Sicherheitskräfte geben. Die Angst vor einem möglichen zweiten Anschlag bleibt, und der Schock ist groß.

Denn Mubi ist so schwer wie nie zuvor getroffen worden. Die Stadt war zwar von August bis November 2014 von Boko Haram besetzt. Die Terrorgruppe hatte Mubi sogar in Madinatul Islam – Stadt des Islam – umbenannt. An diese Zeit erinnern bis heute zahlreiche zerstörte Kirchen und Bankgebäude, die nie wieder aufgebaut wurden. Trotzdem kam es in Mubi nie zu schweren Kämpfen. In den vergangenen Monaten herrschte in der Stadt eine regelrechte Aufbruchstimmung. Händler kamen zurück, Läden wurden wieder geöffnet, Sicherheitskräfte nach und nach abgezogen.

„Einen Anschlag wie diesen hat Mubi noch nie erlebt“, sagt Maji Peterx von der Organisation Carefronting mit Sitz in Kaduna. Peterx berät Nichtregierungsorganisationen und Vertreter aus Kirchen und Moscheen, wie man traumatisierte Menschen unterstützt und mit verfeindeten Gruppen einen Dialog beginnt. Mubi besucht er regelmäßig.

„Ein einzelner Vorfall kann zu zahlreichen weiteren Problemen führen“, ist Peterx besorgt über den Moschee-Angriff. Gerade der Bundesstaat Adamawa galt vor der Ausbreitung von Boko Haram im Jahr 2014 als sehr tolerant und entspannt im Vergleich zu anderen Regionen im Norden Nigerias. Heute erlebt er, dass auch dort das Misstrauen zwischen Christen und Muslimen steigt. Als Boko Haram immer weitere Gebiete besetzte, flohen zahlreiche Menschen, viele darunter Christen. Die Mehrheit ist zwar in den vergangenen zwei Jahren zurückgekehrt, doch mit mulmigem Gefühl: Rückkehrer wissen nicht, ob frühere Nachbarn, Freunde und Bekannte mit den Terroristen kollaborierten und falls ja, ob sie es freiwillig taten oder gezwungen wurden. Deshalb geht man sich heute am liebsten aus dem Weg und vermeidet einen Dialog.

Maji Peterx ist froh, dass seine ehrenamtlichen Helfer am Dienstag umgehend reagiert hätten. Direkt nach dem Anschlag hätten sie die Familien zahlreicher Opfer besucht. „Es ist wichtig, dass Menschen zusammenkommen und es unterstützende Strukturen gibt.“

Der Anschlag könnte allerdings dafür sorgen, dass die Zahl der Binnenflüchtlinge wieder steigt. Laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) stagniert sie seit Monaten und liegt im gesamten Nordosten Nigerias bei mehr als 1,7 Millionen. Es kommt immer wieder vor, dass aufgrund von Angriffen Rückkehrer erneut ihre Heimatorte verlassen müssen. Augenzeugen berichten zudem, dass vor allem Dörfer rund um den Sambisa-Wald überfallen werden. Geraubt werden Lebensmittel, Mopeds und Benzin.

Von Seiten der nigerianischen Armee gibt es seit Monaten kaum noch Erfolgsmeldungen im Antiterrorkampf. Gleiches gilt allerdings auch für mögliche Verhandlungen. Dennoch muss der Anschlag nicht unbedingt heißen, dass Boko Haram wieder im Aufwind ist, erklärt Maji Peterx. „Er könnte von Seiten der Gruppe auch das Signal geben: Wir sind noch nicht tot.“

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