: Im Kunstverlies
Das Kunstmuseum Bern verhandelt die „Bestandsaufnahme Gurlitt“ unter dem Aspekt „Entartete Kunst – beschlagnahmt und verkauft“. Zu sehen sind bedeutsame Fundstücke
Von Annegret Erhard
Zunächst schien es ein Danaergeschenk zu sein. Die Schweizer waren skeptisch. Zu groß, zu diffus war das ganze Getöse um den „Nazischatz“. Alles gestohlen, alles geraubt, aus Museen, von jüdischen Familien. Ein vergiftetes Legat. Das Kunsthaus Bern entschloss sich zur Annahme des Erbes unter der Bedingung, dass Deutschland die kostenintensive Restitutionsrecherche übernimmt.
Ergebnis: Sechs Kunstwerke wurden bereits restituiert, weiterhin ist man mit der zähen und möglicherweise kaum noch erfolgreichen Recherche beschäftigt. Die bislang eindeutig geklärten Werke befinden sich nun im Kunstmuseum Bern und wurden dort restauriert. Ein Teil davon wird derzeit mit einer jeweils knappen Werkbeschreibung präsentiert. Ihr ist, wo möglich, hinzugefügt, in welchem Museum sich die Nazis ab 1936 der Kunst bedienten, unter dem Vorwand, das Volk vor seelischem, geistigem und sonst wie begründetem Schaden zu bewahren. Das war leider rechtens, entsprechend war es auch der Handel mit diesen Bildern, wenn es keine privaten Leihgaben waren. Bis heute ist das dazugehörige, 1938 nachträglich verabschiedete Gesetz nicht annulliert.
Besucher kommen nun in Scharen, um die Schau „Entartete Kunst – beschlagnahmt und verkauft“ zu sehen. Sie studieren die Originaldokumente und die Erklärungen zu den Aktivitäten der Kulturfunktionäre und ihrer Gehilfen, den einschlägig orientierten Kunsthändlern. Die dichte Hängung in konservatorisch zugelassenen Lichtverhältnissen vermittelt den Eindruck eines Kunstverlieses.
Das passt zum Narrativ. Cornelius Gurlitt wusste, was er hatte – und dass er Sorgfalt walten lassen musste, wollte er von seinem Besitz leben. Die Werke sind deshalb gut erhalten. In der Ausstellung sind sie weitestgehend in künstlerischen Gruppierungen gehängt: Blauer Reiter, Brücke und Bauhaus, auch der seinerzeit so verhasste Verismus ist mit Dix und Grosz beispielhaft vertreten. Der Parcours schließt mit einer Auswahl der Arbeiten von Cornelia Gurlitt, der überaus talentierten Schwester Hildebrand Gurlitts, die in Berliner Künstlerkreisen verkehrte, sich jedoch mit 29 Jahren das Leben nahm.
Insgesamt, so Eberhard Kornfeld – der Berner Auktionator, der seit Jahren schon Einlieferungen von Cornelius Gurlitt versteigert hat –, dürften etwa 125 der etwa 1.500 geerbten Arbeiten von höchster Bedeutung sein. Zu diesen herausragenden und bislang verschollenen Fundstücken zählen Otto Dix’ Gouache „Sonnenaufgang über Ypern“ (1917), Kandinskys dichte Abstraktion „Schweres Schweben“ (Aquarell, 1924), Kirchners „Melancholisches Mädchen“ (Farbholzschnitt, 1922) oder Mackes Aquarell „Schlossgarten in Oberhofen“ (1914) und Marcs „Sitzendes Pferd (Aquarell, 1912).
Über Jahrzehnte hat Cornelius Gurlitt in unterschiedlichen Häusern versteigern lassen, bedächtig und ohne seinen Fundus preiszugeben. Er wählte aus, was er einzuliefern gedachte, eine Sichtung seines Besitzes erlaubte er nicht. Das händlerische Naturell schien ihm im Blut zu liegen. Inwiefern der Vater allerdings einem Regime des Grauens gedient hat und sich diese Barbarei in den Kunstwerken materialisierte, das fand in seine Überlegungen offenbar keinen Eingang.
Mangelndes Unrechtsbewusstsein? Eine, zugegeben, etwas matte Erklärung. Wie barbarisch jedoch in einem modernen Rechtsstaat mit einem flugs als Sonderling identifizierten alten Herrn umgegangen wird, den man der Steuerhinterziehung verdächtigt, ist freilich durch nichts zu entschuldigen. Da man sich mit Kunst nicht auskenne und deshalb keine Auswahl habe treffen können, sei nur die rigorose Konfiszierung seines Eigentums geblieben, so seinerzeit der Kommentar der Staatsanwaltschaft. Wen wundert’s, dass Cornelius Gurlitt in Deutschland keinen geeigneten Erben sehen konnte?
Zusammen mit der Ausstellung in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle, wo auch die älteren und die noch nicht endgültig hinsichtlich des Raubkunstverdachts geklärten Papierarbeiten zu sehen sind, wird nun unter dem Begriff „Bestandsaufnahme“ der – ursprünglich wohl weit größere – Lagerbestand eines NS-Kunsthändlers gezeigt. Ein Lagerbestand, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter Verdacht stand; einem Verdacht, der nicht ausreichend belegt wurde.
Für die Wiederherstellung von Rechtmäßigkeit, gar Kompensation, ist es aber in den meisten Fällen zu spät. Was nach dem übersteuerten Task-Force-Radau bleibt, sind die Mühen der Ebene und eine nach wie vor komplizierte Sachlage, in der es gilt, die verschlungenen Wege jedes einzelnen Kunstwerks, das in die Fänge der NS-Diktatur geraten ist, juristisch stichhaltig und plausibel nachzuvollziehen.
Bis 4. März, Kunstmuseum Bern, Katalog (Hirmer Verlag) 29,90 Euro
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