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Das Dröhnender Großstadt

Ein gelungener Dokumentarfilm und scheinbar ereignislose Musik: Die Volksbühne würdigt den 2016 verstorbenen US-Avantgardisten Tony Conrad

Von Alexander Diehl

Es gibt gleich am Anfang dieses Films eine Szene, die umreißt, wofür Tony Conrad in den Geschichtsbüchern stehen müsste (nicht dass der 2016 Verstorbene selbst das je verlangt hätte):

Mit einer aufwendigen Mikrofonapparatur sucht da ein Mann mittleren Alters den Sound einer New Yorker Straße einzufangen, genauer: den der Ludlow Street, Lower East Side, Manhattan. Über seine Schulter zeigt Conrad auf ein Haus: Ganz oben, das Fenster mit der Klimaanlage, das sei in den frühen 1960er Jahren sein Apartment gewesen ist. Da habe Jack Smith den Film „Flaming Creatures“ geschnitten und er selbst an seinem namens „Flicker“ gearbeitet. Und, ach ja, die Band Velvet Underground, die habe sich auch da oben gegründet.

Legendäre New Yorker Avantgarde, filmisch wie musikalisch, und einer, der bei so vielem dabei war, oder gleich nebenan. Einer, der noch dazu später nicht als Anwalt oder in der Rüstungsforschung endete – immerhin hatte er in Harvard einen Abschluss in Mathematik erworben. Einer, der immer weitergemacht hat, ohne dabei auf der Stelle zu treten: So eine Hauptfigur ist für einen Dokumentarfilmer ein Glücksfall. Gut 20 Jahre lang hat Tyler Hubby Material gesammelt; und was anfangs eine Würdigung des experimentellen Filmemachers Conrad sein sollte, musste seinen Fokus mehrfach ändern.

Die Straßenszene am Anfang etwa entstand im Jahr 2002, einiges im Film aber auch schon früher. Denn um die Mitte der 1990er Jahre herum hatte eine ganze Generation Conrad zu entdecken begonnen, beinahe ausschließlich den Musiker allerdings: Das ambitionierte Label Table of the Elements hatte Aufnahmen aus den 60er- und 70er Jahren wieder verfügbar gemacht, Leute wie Jim O’Rourke und David Grubbs hatten mit ihm aufgenommen, er trat wieder auf: Auch beim Festival „Berlin Atonal“ war er 2015 noch mal zu erleben, zusammen mit der ihrerseits reichlich legendären deutschen Band Faust.

Nun wird das Werk Conrads bei einer Veranstaltung in der Volksbühne gewürdigt, wo es neben der Filmvorführung auch zwei musikalische Einlagen gibt: ein von Conrad ursprünglich konzipiertes und von Jochen Arbeit mit einem Streichquartett reinterpretiertes Stück sowie eine Drone-Soloperformance von Stephen O’Malley

Die Stärke des Films liegt dabei darin, dass er sich nicht damit zufriedengibt, bloß eine weitgehend vergessene, legendäre Type ans Licht zu zerren – nicht dass solche Filme nicht sehr verdienstvoll sein können; Regisseur Hubby selbst war Cutter bei der Doku „The Devil and Daniel Johnston“ (2005), die ja auch so einen Außenseiter zum Thema hatte. Im Falle Conrads beschränkt sich das zu Entdeckende aber gerade nicht auf eine Distinktion versprechende Kuriosität. Wer ihn in nur als aus der Geschichte gefallenen Minimal-Music-Pionier kennt, dem bringt die Doku den einflussreichen Filmemacher näher. Oder den Lehrer am College, den die sozialen Effekte von Kunst und Medien interessierten.

Er habe jeder Professionalisierung widerstanden, sagt Conrad an einer Stelle. Hieß das in den 1960ern, das Komponieren beenden zu wollen oder den Komponisten gleich ganz abzuschaffen, wollte er später den Zugang zu den elektronischen Medien demokratisieren: Jahrzehnte, bevor das Internet ganz normalen Leuten eine Bühne bieten sollte, entwickelte er Mitmachformate für das örtliche Kabelnetz – für Menschen und Communitys, die er an der Uni nicht repräsentiert sah.

Für Conrad, so schreib das Artillery Magazine, bestand eine direkte Verbindung vom einen zum anderen: Zwischen der radikalen Verneinung der Komponistenfigur und einer nachmittäglichen Hausaufgaben-„Helpline“ für afroamerikanische Schulkinder gab es dann auch keinen grundsätzlichen Unterschied. Immer wieder hat sich Conrad ganz ausdrücklich mit institutionalisierter Macht beschäftigt, mit Autorität oder auch Autoritärem: Er sei fasziniert gewesen, erzählt er, von den Parallelen zwischen Eltern, Lehrern und Künstlern.

Am Ende des Films sehen wir Tony Conrad wieder auf einer Straße in Manhattan, Jahre nach den Aufnahmen in der Ludlow Street: Er gibt vor, den immer wieder vorbeibrandenden Verkehr zu dirigieren, ärgert sich darüber, dass ein Polizeiauto ohne eingeschaltete Sirene vorbeikommt. Da ist dann, noch mal anders, wieder vieles von dem enthalten, was er sein Leben lang gemacht hat: Den Lärm der Großstadt wird mancher Hörer in Conrads entnervendem Violinen-Dröhnen wiedererkannt haben. Aber da ist eben auch dieses Auf-der-Straße-sein-Wollen – nicht in Lofts oder Elfenbeintürmen.

1. 12., Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Großes Haus. 19.30 Uhr: „Completely in the Present“ (OF), danach Gespräch u. a. mit Regisseur Tyler Hubby und Produzent Paul Williams. 22.15 Uhr: Jochen Arbeits Amplified Drone Strings Quartet: 23.15 Uhr: Stephen O’Malley (Sunn O)))). 24 Uhr (Roter Salon): Jan St. Werner (DJ-Set)

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