: Tasso im kitschigen Lustschloss
Bild mit Kuhfell und Gips-Büste: Das Kölner Theater im Bauturm eröffnet mit Goethe die Spielzeit
Seinen „Torquato Tasso“ nannte Johann Wolfgang von Goethe „Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“. So vergleichbar erschien ihm das eigene, nicht unproblematische Dasein in Weimar mit dem des unglücklichen Poeta Laureatus am Hof von Ferrara gegen Ende der Renaissance. Wenn das Kölner Theater im Bauturm als erste Neuinszenierung der gerade angebrochenen Spielzeit Goethes Künstlerdrama von 1789 auf die Bühne bringt, dann widmet es sich klassischen Bildungsthemen wie der so oft beschworenen Unvereinbarkeit von Kunst und Leben, dem schwierigen Geniekult und den vielfachen Unfreiheiten, die sich bis heute aus Mäzenatentum und Kultursponsoring ergeben.
Ferrara 1575: Der junge Tasso führt als Hofdichter des Herzogs von Ferrara ein behütetes Leben im Kreise wohlwollender Adliger. Soeben hat er sein Hauptwerk vollendet, von den Damen des Hofes gibt es dafür einen Lorbeerkranz. In die schöne Szene platzt der aus Rom zurückgekehrte Staatssekretär Antonio. Den romantischen Erfindungen des Hofpoeten begegnet der Machiavellist mit herablassender Ironie, auf überschwängliche Freundschaftsbekundungen reagiert der stets beherrschte Diplomat mehr als zurückhaltend. Zu groß sind die Unterschiede in Temperament und Lebensauffassung der beiden Männer, ein Streit ist unausweichlich.
Wie ein wütender Stier geht Tasso auf den weltgewandten Politiker los, der über Lorbeerkränze nur lächeln kann und die geschützte Existenz des Hofkünstler durch milden, nicht einmal böse gemeinten Zynismus in Frage stellt.
Auch wenn sich später die Wogen wieder glätten, Antonio versöhnlich auf den Dichter zugeht und überhaupt alle weiterhin nur sein Bestes wollen – für Tasso bleibt die Auseinandersetzung fundamental. Durch die Konfrontation mit der Wirklichkeit hat sein Selbstverständnis Sprünge bekommen. Antonio bleibt Sieger in einem Kampf, den Tasso gegen das Leben führt - und in dem die Dichtkunst das „einzig Asyl“ bleibt.
Als kitschig-abgetakelte Terrassenlandschaft präsentiert sich das Lustschloss des Herzogs im Bühnenbild von Petra Moser. Neben Kronleuchtern, Clubsesseln und Buchsbaumhecken beherrschen Gewächshauswände mit vielen zerbrochenen Scheiben die Szene. Geht es hier um brüchige Lebenswelten oder werfen zu viele Höflinge mit Steinen, obwohl sie selbst im fürstlichen Glashaus sitzen? Vor dieser durch Kuhfell und Goethebüste komplettierten Kulisse spielt es sich ab, das Drama von der „Disproportion des Talents mit dem Leben“, wie der Geheimrat aus Weimar die Botschaft seines Stückes auf den Punkt brachte.
Deutlichstes Plus der Kölner Inszenierung von Martin Jürgens ist die Ausgewogenheit der Figuren. Alle fünf Akteure spielen auf dem gleichen hohen Niveau: Klaus Ebert gibt den Tasso als tragische Mischung aus „angry young man“ und ewig greinendem Kleinkind, Carl-Ludwig Weinknecht als Antonio spricht Goethes schöne Verse mit schwerer, dunkler Ironie, und auch Sabine Barth, Beate Reker und Gerhardt Haag überzeugen als Herzog und Hofdamen, die sich zwar im Genie des Dichters sonnen, ihn aber ansonsten gern zu Spielball und Jagdbeute machen. Am Ende wird Goethes „gesteigerter Werther“ zum Schmerzensmann seiner eigenen lebensfernen Kunst, steht mit ausgebreiteten Armen als Gekreuzigter im Licht – dieses überstarke Ende passt nicht ganz zur ansonsten subtilen und professionellen Inszenierung.
War der Dichterfürst aus Weimar tatsächlich so selbstkritisch? Immerhin ist sein Alter Ego auf der Bühne kein Sympathieträger. Dafür ist hier ein Mensch mit seinen Schwächen erkennbar. Nicht der schlechteste Ausgangspunkt für eine gelungene Spielzeiteröffnung.
HOLGER MÖHLMANN
Täglich bis 18. SeptemberInfos: 0221-524242