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Mysterienund Yoga

Im Trüben fischen ist für die einen eine kränkende Niederlage, für die anderen ein Ansporn. Das Berliner Trio Dictaphone liefert ein gutes Beispiel für Letzteres. Vom Überschreiten von Genregrenzen sprechen ja dieser Tage so ziemlich alle Musiker, die etwas auf sich halten, seien es nun Echtzeitmusikerinnen oder Schlagersänger. Dictaphone indes überschreiten eigentlich gar nichts, weil es bei ihnen überhaupt kein Genre gibt, aus dem sie heraustreten könnten.

Was der Multiinstrumentalist Oliver Doerell an Elektronik, Bass und Gitarre mit dem Saxofonisten und Klarinettisten Roger Döring und Alex Stolze an der Violine auf gut 40 Minuten in neun instrumentalen Songs abschreitet, ist in einem Zwischenreich angesiedelt, in dem man auf vielerlei Assoziationen zu Bekanntem stößt, doch nie genau sagen kann, ob man nun richtig liegt oder nicht. Um es vorwegzunehmen: Es gibt Harmonien, kleine Melodien und regelmäßige Rhythmen. So weit alles bekannt. Das war es dann aber auch schon mit dem Vertrauten.

Man mag bei vereinzelten bedächtig pochenden Beats oder rudimentären repetitiven Figuren von Gitarre oder Klarinette versucht sein, „Post-Rock“ zu schreien. Wirklich weiter hilft das nicht. Eher ist „APR 70“ ein kammermusikalischer Stream of Consciousness, der mit gelegentlichen Sprach-Samples etwas Filmisches bekommt, ein Soundtrack, zu dem man sich die Bilder selbst suchen muss. Die Stimmung ist somnambul-gelassen, zugleich traumhaft-mysteriös. Bedrohlich wird es nie. Schönheit, die sich nicht in die Karten gucken lässt.

Klarer definiert ist das Vorhaben, das der Berliner Musiker Martin Maischein alias Goner auf seinem jüngsten Album „Yogascum“ verfolgt. Der hübsche Titel mag wie eine Abrechnung mit dem neuen Volkssport im Zeichen der Achtsamkeit erscheinen, doch Maischein hat sich lange genug selbst mit Meditation beschäftigt, um in der Sache ambivalenter zu sein. So klingt denn auch der knapp viertelstündige Drone, mit dem er seine Platte eröffnet, einerseits beruhigend, andererseits etwas ungemütlich, fast dräuend. So richtig ernst nehmen kann man das Finstere nicht. Wirkt dafür garantiert. Wie? Ausprobieren!

Tim Caspar Boehme

Dictaphone: „APR 70“ (Denovali)

Goner: „Yogascum“ (Hallow Ground)

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