: Die Flora undihre Follower
Statt Dekorvorlagen zu kopieren, wandte sich Moritz Meurer den Pflanzen zu. Viele folgten ihm, auch sein berühmter Schüler Karl Blossfeldt. Warum? Das zeigt die Ausstellung „Form Follows Flower“
Von Lorina Speder
Wie sie sich im Schlaf wiegen und sich nach dem Erwachen der Sonne entgegenstrecken, die Pflanzen in den Stummfilmen der Ausstellung „Form Follows Flower“ im Kunstgewerbemuseum, beeindruckt. Die Lebendigkeit des Maises und der Gräser werden in den Vordergrund gestellt. Aber diese künstlerisch anmutende Auseinandersetzung mit den gezeigten Pflanzen vermischt sich im Untergeschoss des Museums fließend mit der akademische, die den Blütenfotografien und Stängeln aus Bronze Ende des 19. Jahrhunderts zugrundelag.
Zur 150-Jahres Feier des Museums und der zugehörigen Lehranstalt verbindet „Form Follows Flower“ die Anfänge der Pflanzenlehre im Kunstgewerbekontext mit neuen künstlerischen Standpunkten aus diesem Bereich.
Die Werke von Karl Blossfeldt dürfen bei einer solchen Ausstellung nicht fehlen. Zu bekannt sind seine schwarz-weißen Fotografien von Knospen, wie der Blumenesche in der Ausstellung, die stark vergrößert wie ein expressiver Körper erscheint. Doch nicht er, sondern sein Lehrer Moritz Meurer ist, überraschend und verdient, im Fokus der Ausstellung.
Mechanik und Morphologie
Bevor Blossfeldt als Fotograf der Neuen Sachlichkeit wahrgenommen wurde und seine strengen und formellen Pflanzenmotive einem breiten Publikum bekannt wurden, hatte er als Assistent für Meurer gearbeitet. Erst nachdem Blossfeldts Fotografien und Modelle im Namen des Ateliers Meurers veröffentlicht worden waren, erschien seine erste eigenständige Publikation, „Urformen der Kunst“, vier Jahre vor seinem Tod im Jahre 1928.
Mehr als drei Dekaden zuvor wurde er als Schüler von Moritz Meurer in die umfangreiche und tägliche Arbeit mit Pflanzen in Rom eingeführt. In der italienischen Hauptstadt half er dem Beauftragten des Lehrprogramms und der Lehrsammlung der Berliner Kunstgewerbeschule von 1892 an drei Jahre lang bei der Dokumentation von Pflanzen und dem Erstellen von Lehrmaterial. So liegt es nahe, dass das Anfertigen der Pflanzenfotografien und plastischer Modelle aus dieser Zeit essentiell für Blossfeldts Werdegang vom gelernten Modelleur hin zum Künstler und bekannten Fotografen war.
Sein Lehrer Meurer, 1839 in Sachsen geboren, verschrieb einen Großteil seines Lebens dem Studium der Pflanzen. Seine Tätigkeit in der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin, die er für 15 Jahre kurz nach der Eröffnung der Schule 1867 aufnahm, war darauf angelegt, das Lehrkonzept der Ausbildung zu verändern. Hiermit beeinflusste er nachhaltig die Lehrpläne vieler Kunstgewerbeschulen. Meurer erkannte, dass besonders in dem Fach Dekorationsmalerei, das er unterrichtete, das Kopieren viel mehr als das Entwerfen im Vordergrund der Lehre stand. Seine Aufmerksamkeit für die Pflanzenmorphologie und -mechanik sollte neue Formen und Stile in die Dekorentwürfe einbringen.
So erkennt man die Ansätze des Jugendstils in den floralen Mustern auf ausgestellten Tapeten, Gläsern und dem Geschirr aus Porzellan im Museum. Die Detailverliebtheit und die Konzentration auf neue vegetabile Vorlagen stellten für Meurer einen zeitgemäßen Stil dar. Er wollte damit die Kunstindustrie beeinflussen und veröffentlichte bereits 1889 sein wegweisendes Lehrkonzept des Pflanzenstudiums. Dieses fand großes Interesse, auch weit über die Kreise der Künstler und Studenten hinaus.
Drei Minuten Zeitraffer
Bereits 1891 wurde unter Meurers Leitung an der Unterrichtsanstalt die Ergänzungsklasse im Pflanzenzeichnen eingeführt. Im selben Jahr fand die öffentliche Präsentation der Zeichnungen und weiterer Lehrmittel aus dem Atelier Moritz Meurer im Lichthof des damaligen Lehrgebäudes, dem Martin-Gropius-Bau, statt. Die ausgestellten Tafeln und Silbergelantineabzüge der Schüler und Assistenten und Kollegen Meurers, aber auch die neuen Arbeiten der heutigen Schülerinnen und Schüler der Kunstgewerbeschule in der Ausstellung haben eine wundersame Wirkung auf den Betrachter.
Die Lebendigkeit der Pflanzen in ihnen scheint magisch. Besonders das Studienvideo des Direktors des Botanischen Instituts der Universität Leipzig, Prof. Dr. Wilhelm Pfeffer (1845–1920), zeigt in drei stummen Minuten, warum uns die Pflanzen so faszinieren. In einer Zeitraffersequenz kann man den Überlebenswillen, das Aufwachen und die Bewegung von drei Tulpen über 28 Tage beobachten. Was in der Realität zu kleine Veränderungen für unsere Augen sind, wird so im Film als große Positionsänderung sichtbar.
Sieht man diese aufblühenden Wunderwesen im bewegten Bild, fragt man sich, warum heutzutage so viel Zeit mit dem Artifiziellen und dem Digitalen verbracht wird. Vieles von dem, was versucht wird, dort zu übertragen, finden wir in der Natur. Das Echte, welches uns verletzlich und anmutig entgegnet, bleibt doch letztendlich das, was uns wirklich in den Bann zieht.
Kunstgewerbemuseum am Kulturforum, bis 14. Januar
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