: Erdoğan will nationales Auto
Ein türkischer Volks-Wagen wäre politisch motiviert. Aber wäre er ökonomisch sinnvoll?
Von Wolf Wittenfeld
Manchmal sagt eine Karikatur alles. In der Tageszeitung Hürriyet interpretierte Hauskarikaturist Latif am Montag die Ankündigung, dass die Türkei ein nationales Auto auf den Markt bringen will, folgendermaßen: Eine Autokarosserie ist mit einer türkischen Fahne bedeckt wie ein Sarg. Unten lugen Beine hervor, der Rest der Menschen ist darunter begraben.
Vergangene Woche hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan verkündet, die Türkei werde endlich ein Auto bauen, das vollständig in der Türkei produziert wird. Nicht die potenziellen Hersteller stellten ihr künftiges Produkt vor, nein, der Präsident präsentierte persönlich das Joint Venture: Die Mischkonzerne Zorlu, Anadolu Holding, Kiraca Holding, der Mobilfunk-Betreiber Türkcell und die türkisch-katarische Firma BMC-Group sollen den Kraftakt meistern. Alle Firmen haben eine große Nähe zu Erdoğan oder sind abhängig von Staatsaufträgen.
Das Urteil der Börse zu dem Projekt war vernichtend: Die Aktien von Anadolu brachen um acht Prozent ein, die von Türkcell um 4,6 Prozent und die Zorlu-Tochter Vestel, die Teil des Konsortiums werden soll, verlor 11 Prozent. Es wundert nicht, dass Investoren das Prestige-Projekt scheuen: Dieses ist politisch motiviert und ökonomisch wenig sinnvoll.
Das nationale Auto ist schon lange ein Lieblingsprojekt von Erdoğan, doch die beiden großen türkischen Autobauer Koc-Holding und Oyak-Holding haben dessen Forderungen immer abgelehnt. Die Koc-Holding, die 50 Prozent des türkischen Marktes beherrscht, baut ihre Autos zusammen mit Ford und Fiat. Das heißt, wichtige Komponenten kommen aus dem Ausland, weil es sich nicht lohnt, sie in der Türkei neu zu entwickeln und zu produzieren. Das Gleiche macht die Oyak-Holding mit Renault.
Außerdem produzieren internationale Autohersteller wie Toyota, Hyundai, Honda, Ford und Fiat in eigenen Werken in der Türkei über eine Million Fahrzeuge jährlich. Warum sollte man ein nationales Auto dagegensetzen, das nur mit hohen staatlichen Subventionen konkurrenzfähig wäre?
Erhan Erkut, Professor und Vizerektor der privaten MEF Universität, berechnet die Kosten auf etwa 10 Milliarden US-Dollar. „Wenn wir diese in innovative Produkte investieren würden, wäre das allemal sinnvoller.“
Ohnehin ist fraglich, ob das Auto je gebaut wird. Denn die lang prognostizierte ökonomische Krise als Folge des politischen Crash-Kurses zeichnet sich längst ab. Die Inflation stieg zuletzt auf das Rekordniveau von 14 Prozent, der Wert der türkischen Lira gegenüber Dollar und Euro befindet sich im freien Fall.
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