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: Die Toten treten ins Licht

Foto: „The Saga of Anatahan“ (Japan 1953; Regie: Josef von Sternberg). Die DVD ist als Import ab rund 20 Euro erhältlich.

Zwölf Männer, Soldaten der japanischen Armee, auf einer Insel im Pazifik, Anatahan. Gestrandet. Es ist das Jahr 1944. Sie halten aus. Jahr um Jahr um Jahr. Der Krieg endet, nicht für die Männer. Kein Feind in Sicht, kein äußerer Feind. Auf der Insel nur Dschungel, undurchdringlich. In einer Hütte ein Mann, eine junge, sehr schöne Frau, er der Aufseher der längst verlassenen Plantagen, sie lebt bei ihm.

Die Männer, viele von ihnen, werfen begehrliche Blicke. Prekär ist der Zusammenhalt. Als ein Flugzeug abstürzt, sich zwei Pistolen darin finden, geraten jede Balance ins Wanken. Männer, die einander belauern, die sich betrinken. Männer, die morden, die vergewaltigen. Der Film beruht auf einer wahren Geschichte.

„The Saga of Anatahan“ ist das letzte Werk Josef von Sternbergs. Nach dem Erfolg in Deutschland mit „Der blaue Engel“ war er auch in Hollywood groß rausgekommen, mit den Filmen, die er mit Marlene Dietrich gedreht hat vor allem, „Marokko“ oder „Shanghai-Express“. Ein Meister der Atmosphäre, der Kompositionen aus Licht und aus Schatten, der an das Künstliche als Ausdrucksform für Wahrheiten glaubt und an die totale Kontrolle und der, was immer geht, im Studio dreht.

Nach heftigen Auseinandersetzungen über Budgets, Streit mit Studios und Stars und einigen Flops war es Anfang der Fünfziger mit der ­Karriere Sternbergs, berüchtigt als Diktator am Set, vorbei. Keines der späteren Werke ist berühmt, nur „Anatahan“, denn einen solchen Film gibt es nur einmal.

Er ist mit japanischen Darstellern in einem japanischen Studio auf Japanisch gedreht und die Dialoge werden weder untertitelt noch synchronisiert. Nur einer spricht, als Voiceover, ungreifbar, ein Erzähler, dessen Englisch man die Herkunft aus Österreich eher leise als aufdringlich anhört: von Sternberg selbst. Dieser Erzähler sagt fast immer „Wir“, später auch „Ich“, das ist sehr seltsam, es ist das Wir und das Ich der japanischen Soldaten auf verlorenem Posten auf dieser Insel, dieser Soldaten, deren Kleidung sich auflöst, deren Disziplin sich zersetzt.

Und dieser Erzähler erzählt wenig, viel eher kommentiert er das Geschehen. Denkt über Macht nach und Kämpfe um Anerkennung, über die Verhältnisse unter Menschen, die aus der Gemeinschaft und aus der Gesellschaft fallen, und darüber, was dann passiert. Spricht düstere Sätze über die Bienenkönigin, Arbeiterbienen und Drohnen und Sätze wie diesen: „Leicht ist es für uns zu erkennen, was die anderen tun; einen Spiegel zur Reflexion unserer selbst haben wir nicht.“

Real ist das Meer und sein Branden. Gemalt ist die Insel mit ihrem Vulkan. Und ohne Zweifel Kulisse ist der Dschungel, fast wie im Theater, in dem sich die Männer vor der Kamera bewegen, für die auch Josef von Sternberg verantwortlich zeichnet. Keine Licht-und-Schatten-Show diesmal, keine Gaze und Schleier, sondern brutal hell gesetztes Licht: Nichts, was den Menschen ausmacht, soll im Dunkeln bleiben.

Darum sieht man auch jene Szenen, von denen der Kommentar sagt, keiner wisse genau, was sich zutrug. Anrührend schön, bewegend gerade im Kontrast mit der grellen Nüchternheit des Geschehens, oszillierend wie der Film zwischen Westen und Osten, ist die Musik. Komponiert von Akira Ifukube, der im Jahr darauf die Musik für „Godzilla“ schrieb.

Unvergesslich der Schluss. Hier inszeniert doch noch einmal der Meister der Schatten. Vor einem Flugzeug, das, wie man sieht, sehen darf und sehen soll, nur eine Fotografie ist, treten die Toten aus dem Dunkel ins Licht, ein letztes Mal, so nah an die Kamera, dass sie fast schon in der nächsten Unschärfe verschwinden. Josef von Sternberg hätte gerne weiter Filme gedreht. Zum Schaden der Kunst gelang es ihm nicht. Ekkehard Knörer