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Nackt unter Nackten

Lukas Valenta Rinners Film „Die Liebhaberin“ lässt seine Protagonistin zwischen zwei Welten pendeln: der Reichensiedlung, in der sie als Haushälterin arbeitet, und dem benachbarten Nudistencamp

Von Ekkehard Knörer

Als Belén (Iride Mockert) sich das erste Mal nach „drüben“ wagt, steht sie da wie die Venus von Botticelli: ihre Blöße schamhaft verdeckt. Die Scham legt sich bald. Engagiert wurde sie allerdings nicht nach „drüben“, sondern nach hüben, als Hausmädchen für eine reiche Familie, die in einer gated community in Buenos Aires residiert. Belén zieht ins Haus, putzt die empfindlichen Böden und den gläsernen Zaun um den Pool. Der erwachsene Sohn der Familie spielt Tennis, will hoch hinaus, scheint aber eine Pflaume zu sein. Er weint ziemlich viel. Sehr ausschnitthaft bleibt, was man von der Familie erfährt.

Ein elektrischer Zaun trennt das Innen vom Außen, die Kommune der Reichen vom Leben der Stadt. Aufpasser sind in Uniform unterwegs, einen von ihnen lernt Belén näher kennen, er nimmt sie in seinem Dienstwägelchen mit. So recht will die Annäherung jedoch nicht gelingen, weshalb nicht ganz klar ist, warum Lukas Valenta Rinners argentinisch-österreichisch-koreanischer Film auf Deutsch den Titel „Die Liebhaberin“ trägt, obwohl er im Original sehr viel interessanter „Los decentes“, also „Die Anständigen“ heißt.

Vom Draußen dringt wenig nach drinnen, nicht in die Community, nicht in den Film. Jedenfalls nicht von der Stadt. Außer am Anfang, da sieht man eine Frau nach der anderen, frontal, Befragung im Auswahlverfahren für den Haushälterin-Job. Dahinter, vor dem Fenster, das normale Leben der Straße. Davon später fast nichts mehr. Alles sauber, aufgeräumt, Totenruhe am Golfplatz.

Die Anständigen

Es gibt aber noch eine andere Grenze, ein weiteres Jenseits: Als Belén einen Blick von hüben nach drüben erhascht, staunt sie nicht schlecht. Jenseits des Zauns, direkt neben dem Haus, in das sie als Dienstmädchen zog, leben Menschen, die anders als die Reichen und die Anständigen sind. Sie sind nackt.

Auf der anderen Seite liegt ein Camp, oder eher eine Community von Nudisten, Männer, Frauen, cis und trans, jung und alt, dick und dünn – Körper, wie Körper so sind. Sie fahren nackt Auto, liegen nackt am Pool, ziehen nackt los mit dem Gewehr, treffen sich nackt zu Tantra-Séancen, tanzen nackt miteinander und werden später mit bemalten, aber nackten Körpern zu Tieren und haben nackt im Wald Sex. Erst zögerlich, als ihrer selbst und ihres Körpers nicht sichere Venus, dann öfter, dann sehr entschieden gesellt sich Belén zu ihnen.

Weg mit der Dienstmädchenkleidung. Fort mit der Unterordnung, hinaus und hinüber, nackt unter Nackten, ein gleitendes Hineinfinden in diese andere Lebensform. Denn darum scheint es zu gehen: eine andere Weise des Lebens, ein Leben im Freien, das niemanden in Kleid und Norm und Uniform zwingt. Sehr kühl, in aller Ruhe, mit schleichender Steadicam und mit Hang zum Tableau, ist das gefilmt. Nacktheit wird mit großer Selbstverständlichkeit, aber auch mit nie aufgelöster Distanz vorgeführt. Seltsam ist das, bleibt aber in Rufweite zum Realen. Dahinter lauert, wie man ahnen kann, die Gewalt, die vielleicht die Gewalt der Verhältnisse ist.

Rinner filmt die Community der Reichen nicht anders, wenn auch mit mehr Willen zu Figurenzeichnung und Karikatur. Überhaupt bleibt das Verhältnis von hüben und drüben, von reich und behütet und frei und nackt der Betrachterin zur Deutung aufgegeben. Paradies und Utopia sind das Camp und die Lebensform der Nudisten nicht. Mindestens das schockierende Ende, das nicht verraten sei, spricht entschieden dagegen.

„Die Liebhaberin“. Regie: Lukas Valenta Rinner. Mit Iride Mockert, Martin Shanly u. a. Österreich/Südkorea/Argentinien 2016, 100 Min.

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