: „Es war die perfekteste Zeit“
Romano war zwölf, als die Mauer fiel. Von der aggressiven, kreativen und bunten Nachwendezeit, aber auch von seiner Mutter handelt sein neues Album, „Copyshop“. Heute Abend spielt er in der Columbiahalle
Interview Jens Uthoff
taz: Romano, auf Ihrem neuen Album gibt es einen Song „König der Hunde“, der von den Tagen der Wende erzählt. Verarbeiten Sie auf „Copyshop“ das Aufwachsen in einem totalitären System?
Romano: Ich war 12 Jahre alt, als die Mauer fiel, noch sehr jung. Aber alt genug, um die Strukturen des Systems kennenzulernen, die Jung- und Thälmannpioniere, das blaue und das rote Tuch. Mittwochs war immer Pioniernachmittag. Da musste man hin, ich habe es auch nicht hinterfragt. Ich musste aber zum Glück nicht mehr zur vormilitärischen Ausbildung, die ab den 9. Klassen begann. Ich hatte aber noch ein halbes Jahr Staatsbürgerkunde.
Wie haben Sie den Mauerfall in der Schule erlebt?
Als die Wende kam, sagte die Staatskundelehrerin plötzlich zu mir: „Ich weiß gar nicht mehr, was ich unterrichten soll. Es ist alles weg.“ Die Geschichtslehrerin sagte das Gleiche. Die ganze Geschichte, die in der DDR 40 Jahre entwickelt wurde, war mit einem Mal verschwunden. Die Französische Revolution war gar nicht von Arbeitern organisiert worden! Lehrer, also Autoritätspersonen, fingen plötzlich an, ihren eigenen Stoff zu hinterfragen – vor den Schülern. Und das zu einer Zeit, wo du pubertär und aufmüpfig wirst.
Haben Sie sofort verstanden, was gerade passiert?
Nein. Ich brauchte einen Moment, um das zu begreifen. Am Tag nach dem 9. November saß ich noch im Werkunterricht. Da waren mit mir drei Schüler. Der Lehrer sagte: „Dann lassen wir den Unterricht heute mal ausfallen.“
War es vom Lebensalter die denkbar schwierigste Zeit, um einen solchen Umbruch zu erleben?
Nein, es war die perfekteste Zeit. Man fängt an, sich für Musik zu interessieren. Ich wechselte die Schule und lernte einen Typen mit Baggy-Jeans, Kapuzenpullover und Armeerucksack kennen. Der hörte Public Enemy, „Fear of a Black Planet“. Ich dachte: Was ist denn das? Ich mochte den Rhythmus. Kurz darauf ging das Kassettentauschen los. Einen alten Kumpel aus der DDR, der 1988 nach Spandau ausgewandert war, traf ich 1991 wieder. Er hat mich in die ganzen Techno-Clubs Berlins geschleift. Plötzlich gab es überall Kellerlochpartys. Es gab den Exit Club, den Walfisch, das E-Werk. Ins E-Werk gingen eher ältere Leute. Ich war noch jung, sah Lack-und-Lederleute an mir vorbeiziehen und dachte „Wow“. Im damaligen Bunker (auch ein Club, d. Red.) in der Friedrichsstraße waren drinnen gefühlte tausend Grad, im oberen Stockwerk lief Gabba, noch ein Stockwerk höher war eine Sexparty. Es hatte etwas Anziehendes, gleichzeitig war ich in’ner Schockstarre.
Wie lang hielt die an?
Bei manchen dauerte die in Berlin bis Mitte der Neunziger. Keiner wusste, was los war, es waren so viele neue Einflüsse. Plötzlich gab es Gangkulturen. Der Halt durch den Staat war weg, und man fing an, sich selbst zu organisieren. Zum Beispiel musikalisch: Metaller, HipHopper, Technohörer, Punks, Sharpskins. Oder eben auch Nazis. So kam es zu so fürchterlichen Geschichten wie jener in Rostock. Die Zeit war aggressiv-kreativ. Aber es war auch eine bunte, eine verrückte Zeit. Darum geht es in „König der Hunde“.
Den Song „Karl May“ haben Sie mit einer Ostlegende aufgenommen – mit Puhdys-Sänger Dieter Birr alias Maschine.
Es war ein Herzenswunsch, mit Maschine zusammenzuarbeiten. Als ich ihn gefragt habe, ob er dabei ist, war er sehr enthusiastisch. So habe ich ihn auch kennengelernt: jemand, der das Strahlen in den Augen hat, der Bock hat.
Sind Sie Puhdys-Fan?
Ich bin mit den Puhdys groß geworden. Songs wie „Alt wie ein Baum“ oder „Geh zu ihr (und lass deinen Drachen steigen)“ aus der „Legende von Paul und Paul“ haben mich geprägt. Das ist Kindheit für mich. Auch Bands wie Karat oder Silly. Als Maschine ins Studio kam, war ich ganz kurz wieder ein kleiner Junge. Er ist ein Held meiner Kindheit.
Im Song übernimmt er eine Vaterfigur.
Ja. Eigentlich geht es in dem Lied darum, die persönliche Vergangenheit aufzuarbeiten. Es handelt von der Kindheit, in der der Vater der große Held ist, der die tollen Abenteuergeschichten erzählt – und von dem Moment, wo dieses Bild ein bisschen bröckelt und man erkennt, dass manches gar nicht so stimmt. Aber am Ende erzählt dieses Stück auch, wie man wieder zusammenfindet.
Ist dieses Zusammenkommen ein Leitmotiv auf „Copyshop“?
Ja. Der Gedanke des Zusammenkommens zieht sich durch das Album. Es ist ein Album des Umarmens, nicht des Verschränkens. Ringfinger, nicht Mittelfinger.
Alltag und Familie sind große Themen auf diesem Album. Wie macht man aus Alltagsgeschehnissen Songtexte?
Bürgerlich Roman Geike, wurde 1977 in Berlin-Köpenick geboren. Mit 15 Jahren fing er an, sich für HipHop zu interessieren, und schrieb Rap-Texte. Bald darauf sang er bei der Metal-Band Maladment. Nach deren Auflösung war er in der Drum-&-Bass-Szene unterwegs.
Als Romano sang Roman Geike Mitte der nuller Jahre zunächst Schlager. Vor einigen Jahren erfand er sich neu und debütierte mit dem gefeierten HipHop-Album „Jenseits von Köpenick“ (2015). Jetzt erschien sein neues Album, „Copyshop“ (Universal). Romano spielt am heutigen Donnerstag in der Columbiahalle. 20 Uhr, 30 Euro
Ich liebe das Detail und die Kleinigkeiten. Das kann so etwas sein wie ein Gespräch mit der Frau von der Post. Oder welchen Gang jemand hat. Ich gucke gern in die kleinen Nebengassen. Schaue, was da läuft. Da kann man Dinge entdecken, die noch nicht so oft besungen wurden.
Beim Hören Ihrer Songs hat man in der Tat oft Spelunken vor Augen, in denen Leute zusammensitzen. Berliner Eckkneipen vielleicht.
Diese Ecken können eine Schönheit in sich tragen, die man manchmal erst entdecken muss. Ich habe ja den Song „Mutti“ auf dem neuen Album. Der ist meiner Mutti gewidmet, das ist eine Liebeserklärung, ich wollte ihr ein kleines musikalisches Denkmal setzen. Man könnte denken, ich probiere da Fehler aufzuzeigen und jemanden zu entblößen, das ist aber nicht der Fall. Das Liebenswerte an diesem Menschen sind gerade die Schwächen und Fehler. Wobei: Fehler in dem Sinne gibt es überhaupt nicht. Es gibt Dinge, die gesellschaftskonformer sind, andere wiederum nicht.
Es ist die sehr ehrliche Beschreibung einer Person.
Es ist überspitzt, das muss dem Zuhörer auch klar sein. Aber vieles ist wahr: Mutti fährt zu Pferderennen nach Hoppegarten, Mutti fährt im Slalom durch Berlin, sie hat auch schon mal versucht, einen reichen Mann im Grunewald kennenzulernen. Und „Gabriela Sabatini“ war ein Parfüm, das sie in den Neunzigern sehr geliebt hat. Leute, die in der Zeit groß geworden sind, wissen auch Bescheid, was damit gemeint ist.
Im Titelsong „Copyshop“ („Die Kopie von der Kopie von der Kopie von der Kopie“) sind einige Metagedanken zu Kunst und Pop drin. Fragen nach Echtheit, Originalität, Authentizität. Gibt es noch genug Originale im Pop?
Die hat es immer gegeben und wird es auch immer geben. Aber wenn etwas eine Industrie wird, dann kommt eine Vermarktungsmaschinerie dazu. Dann kann es sein, dass es zwei, drei Originale gibt – und der Rest sind Kopien. Aber in gewisser Weise ist jeder Mensch für sich erst mal ein Original und dann auch schon als Kopie geprägt. Denn wir haben immer etwas ausprobiert, das es schon gab und das wir über Freunde, Familie und Sozialisation erlernt haben. Aber wir haben es ausprobiert, um zu uns selbst zu finden. In dem Moment bekommt es für mich schon etwas Originales.
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