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Die weibliche Körperkraft

Stereotype auflösen: Choreograf Christoph Winkler inszeniert die Tanzperformance „Sheroes“. Am Donnerstag feierte sie im ausverkauften Ballhaus Ost in Prenzlauer Berg ihre Berlin-Premiere

Von Linda Gerner

Die Arme schleudern nach oben, gleiten nach links, rucken nach rechts, sacken nach unten. Der Körper folgt den Bewegungen, sanft und fließend, dann störrisch, fast plump. Sechs athletische Frauen – im Sportdress, in Jeans, im Disco-Outfit – lassen auf der Bühne im Ballhaus Ost vor einer weißen Plüschwand individuelle Interpretationen von Heldinnen – Sheroes eben – tänzerisch aufleben.

Viele Worte brauchen sie dafür nicht. Der kleine Raum wird gefüllt mit vielseitigem Tanz, der fast beiläufig stereotype Heldenfiguren, wie sie etwa in Filmen reproduziert werden, ironisiert und karikiert. Sicher, man könnte auf der Bühne ein weibliches Pendant zum Helden darstellen – Heroines, die brutal oder tugendhaft, mal mehr und mal weniger realistisch die Welt retten – aber „das kennt ihr ja schon“, resümieren die Performerinnen.

„All Heroines must die“ heißt es hier stattdessen. Zu lauten Technobeats und mit wild bebendem Körper keucht die Berliner Tänzerin Teresa Zschernig ins Mikrofon: „Men make mess, you clean it up – just leave.“ Doch Sexismus wird in „Sheroes“ nicht wortgewaltig angeprangert, es werden auch keine Gegenargumente wiedergekäut. Stattdessen gibt es ein Gedankenexperiment: Wie war die Ausgangssituation vor Tausenden von Jahren? Was war vor dem männlichen Held? Die Sheroes singen, schreien, bewegen ihre Körper ekstatisch rotierend oder fallen hin. Sie scheuen weder Lautstärke noch irritierende, vom Sound losgelöste Bewegungen. Einem Ideal müssen sie nicht entsprechen.

Was nicht bedeutet, dass sie im Gruppenposing das propagierte Bild der Heldinnen mit wehenden Haaren, rausgestreckter Brust und konzentriertem Blick nicht exzellent darstellen können. Konterkariert wird das aber mit der sichtbaren und lärmenden Windmaschine und durch Dissonanzen in inbrünstig gesungenen Songs. Wenn die sechs Frauen Destiny’s Child zitieren, „All the women, who are independent, throw your hands up at me“, ist ihnen der Spaß anzusehen.

Die Wortbeiträge sind auf Deutsch und Englisch und tragen zum feinen Humor der Performance bei. So wird die Amerikanerin Lois Alexander während ihres Tanzsolos als Heldin, „die immer einen Extratampon dabei hat“, und mit einer Lobeshymne, etwa auf ihre „süße, große Nase“, aus dem Off charakterisiert.

Gemeinsam mit Tamar Grosz aus Chile, Dagmar Dachauer aus Österreich, der Französin Sophie Lebré und den Berlinerinnen Teresa Zschernig und Judith Nagel hat Alexander unter der Leitung von Christoph Winkler die 80-minütige Performance erarbeitet. Die Individualität ihrer Heldinnen zeigen die Frauen in tänzerisch beeindruckenden, teils erschreckend verrenkenden Soli. Das sind kraftvolle Szenen, doch die wirkliche Stärke von Christoph Winklers Choreografie entfaltet sich immer dann, wenn die sechs auf der Bühne zusammenfinden, ihre Bewegungen ineinander übergehen, sie sich gegenseitig neue Impulse geben und trotz größter Diversität im Tanz ein stimmiges Gesamtbild erzeugen.

Das ist nur selten langatmig und wird aufgefrischt durch perkussive, humorvolle Einfälle, die Winkler geschickt in „Sheroes“ einfließen lässt. Der Choreograf arbeitet seit 1998 an verschiedenen Bühnen in Berlin und inszeniert regelmäßig Stücke im Ballhaus Ost.

„Sheroes“ ist ein tänzerischer Versuch, stereotype Vorstellungen von Heroismus abzulegen. Ausdrucksstark, mimisch und physisch, schaffen es die Tänzerinnen den Fokus auf die weibliche Körperkraft zu lenken, ohne sexistische Klischees zu bedienen. Trotzdem bleibt: Die Heldinnen auf der Bühne sind jung, schön, schnell und strotzen vor Energie. Unsicherheit, Verletzlichkeit oder Angst kennt Heroismus auch hier nicht. Dafür aber eine Menge „Empo­werment von Frauen“, das, wie eine Besucherin zusammenfasst: „richtig Bock macht auf Tanzen“.

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