: Bin Laden zur Ansicht
Der US-Geheimdienst CIA veröffentlicht 470.000 Dateien aus dem Archiv des getöteten al-Qaida-Chefs
Von Karim El-Gawhary, Kairo
Die Bin Ladens ganz privat: Ein Handyvideo zeigt eine Gruppe Männer, die auf einem Teppich sitzt. Ein Scheich spricht die Worte vor, ein junger schnauzbärtiger Mann mit weißem Kopftuch wiederholt sie leise. Er akzeptiert damit seine Ehe und schwört auf den Koran und die Überlieferungen des Propheten Mohammed.
Das Video zeigt die Hochzeit des Bin-Laden-Sohnes Hamza und ist eines der visuellen Fundstücke unter den 470.000 Dateien, die der US-Auslandsgeheimdienst CIA jetzt veröffentlicht hat. Gefunden wurden sie Abbottabad, dem letzten Versteck des einstigen al-Qaida-Gründers in Pakistan. Ein US-Elitekommando hatte Bin Laden im Mai 2011 dort überrascht und erschossen.
Forscher erhoffen sich von den Dokumenten neue Einblicke in die innere Welt jener Organisation, die für die Anschläge des 11. Septembers 2001 verantwortlich ist. Aber ein Forscherteam des Politikinstituts Foundation for Defense of Democracies erhielt die Dokumente vorab. Deren erste Veröffentlichung auf ihrer Webseite Long War gibt bereits einen Einblick, worum es geht.
Das Hochzeitsvideo zeigt die ersten der Öffentlichkeit zugänglichen bewegten Bilder des Bin-Laden-Sohnes Hamza, der durch mehrere Audiobotschaften nach dem Tod seines Vaters in der Öffentlichkeit bekannt wurde – wohl in der Hoffnung, mit seinem Familiennamen in Dschihadisten-Kreisen punkten zu können. Das Video ist eines von mehr als 10.000 Videofiles, die nun von der CIA ins Internet gestellt wurden.
Die Dokumente beinhalten ein 228-seitiges handgeschriebenes Tagebuch Bin Ladens. Darin erläutert er seine Sicht der Welt und die Rolle, die al-Qaida ausfüllen soll. Klar wird, dass Bin Laden von den Ereignissen des Arabischen Frühlings Anfang 2011 überrascht wurde. Dass er dann aber Anweisungen gab, von dem damals entstandenen Machtvakuum zu profitieren, etwa in Libyen.
Auch 97.000 Foto- und Audiofiles finden sich unter den Dokumenten, darunter Tonaufnahmen, in denen Bin Laden seine Botschaften an die Welt übte. Obwohl sich diese seit dem Tod Bin Ladens verändert hat, bleiben viele Dokumente relevant. So relevant, dass die CIA eine nicht spezifizierte Anzahl von Dokumenten aus Gründen der nationalen Sicherheit zurückgehalten hat.
Deutlich wird in den veröffentlichten Dokumenten, dass Bin Laden via Mittelsmänner auch von seinem Versteck aus weiterhin Kontakt zu den al-Qaida-Ablegern auf der Arabischen Halbinsel und in Nordafrika hatte, sowie zu den al-Shabaab-Milizen in Somalia und den Taliban in Afghanistan.
Forscher erhoffen sich nun Informationen, welche Teile des pakistanischen Sicherheitsapparates und Geheimdienstes Bin Ladens Versteck gedeckt hatten. Prekär ist auch ein 19-seitiges Dokument, in dem das Verhältnis al-Qaidas zum Iran diskutiert wird. Der Autor spricht von iranischen Waffen- und Geldlieferungen, die an „einige Brüder“ geliefert wurden. Im Gegenzug sollten diese US-Einrichtungen in Saudi-Arabien angreifen. Die Rede ist auch von al-Qaida-Dschihadisten, die sich zwischenzeitlich im Iran mit dem Wissen der dortigen Behörden versteckt hatten. Später scheinen sich beide Seiten überworfen zu haben. Einige der Dschihadisten im Iran wurden verhaftet. In einem Dokument ist davon die Rede, dass al-Qaida-Dschihadisten einen iranischen Diplomaten verschleppten, um ihn gegen al-Qaida-Gefangene im Iran auszutauschen.
Einige kritische Stimmen fragen, warum diese Dokumente gerade jetzt von der CIA veröffentlicht wurden – in einer Zeit, in der US-Präsident Donald Trump immer wieder das Atomabkommen mit dem Iran kritisiert und nach Munition sucht, den Iran international zu isolieren. Mike Pompeo, der von Trump ernannte CIA-Direktor, ist für seinen harte Linie gegenüber den Iran bekannt.
Eher trivial sind hingegen die Unterhaltungsvideos, die bei Bin Laden gefunden wurden, darunter eine Reihe von Zeichentrickfilmen wie „Die drei Musketiere“. Auch mit Mr. Bean auf Paschtu und dem Computerrollenspiel „Final Fantasy VII“ scheint sich Bin Laden seine Zeit vertrieben zu haben. Am kuriosesten sind aber die 30 Anleitungsvideos zum Häkeln, die beim Mastermind des 11. Septembers gefunden wurden.
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