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Die Entfesselung der Neurose

Mit der „Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden“ begannen die „Radikalen Jüdischen Kulturtage“ am Gorki Theater. Den Text von Sivan Ben Yishai hat Sasha Marianna Salzmann inszeniert

Sesede Terziyan gibt eine jüdische Künstlerin, die sich im Krieg mit sich selbst befindet Foto: Stefan Loeber

Von Esther Slevogt

Ist er das schon, der neue Juppi Ja Jey Jude? Auf der Bühne sitzt ein zerlaufen aussehendes rosafarbenes Monster: irgendetwas zwischen Elefantenmensch und Miss Piggy nach schwerer Lepra-Erkrankung, in der Hand ein rosa Maschinengewehr. Das Monster sagt nichts, es macht nur krampfartige Bewegungen. Ob es Schmerzen hat? Kurz darauf taucht eine junge Frau im spektakulären Abendkleid auf, in der Hand eine Art Bambi-Preis. Sie beginnt, sich wort- und tränenreich für die Auszeichnung zu bedanken, bei der Jury, bei den Geldgebern für ihre Kunst. Und beim Publikum.

Schnell schraubt sie sich in einen emotional hochambivalenten Vortrag hinein, der immer weiter ins Irrsinnige driftet. Im Grunde jedoch sagt diese Glamourwoman nur eins: ich bin eine jüdische Künstlerin in Deutschland und der Riesenerfolg, den hier nun gefeiert wird, hat mit dem ans Wahnhafte grenzenden Double-Bind zu tun, dass eine jüdische Künstlerin in Deutschland voyeuristisch immer nur als Jüdin wahrgenommen wird. Dass sich der Erfolg darüber steuern lässt, wie virtuos man diesen kranken Voyeurismus, diese klebrige Sensationslust zu bedienen in der Lage ist. Und dass diese Existenz, die vom Blick der Anderen geprägt ist, am Ende zum Krieg gegen sich selber führt.

Irgendwann begreift man auch: das (von der israelischen Künstlerin Moran Sanderovich gestaltete und gespielte) entstellte rosa Monster, dass sich da in Krämpfen windet, muss ihr Alter Ego sein. „Die Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden“ heißt dieser abgründige Text für eine Schauspielerin. Geschrieben hat ihn die 1978 geborene, in Berlin lebende israelische Dramatikerin Sivan Ben Yishai. Bekannt wurde sie bei den diesjährigen Autorentheatertagen des Deutschen Theaters. Ihr neues Stück ist Teil der mit „Die Juden-Monologe“ überschriebenen Eröffnung der „Radikalen Jüdischen Kulturtage“ im Studio des Gorki Theaters. Mit der Inszenierung gibt die Schriftstellerin Sasha Marianna Salzmann ihr Regiedebüt. Und Sesede Terziyan, die die an den Verhältnissen verrückt werdende Schmerzensglamourwoman spielt, liefert ein beeindruckendes Exempel ihres Könnens: virtuos spielt sie zwischen Anbiederung und Ablehnung mit dem Voyeurismus des Publikums, schraubt sich in pentesileahafte Schilderungen blutrünstiger Sex- und Gewaltspiele mit blonden deutschen „Bräutigamen“ herein, dass einem beim Zuschauen das Herz aus dem Leib gerissen wird. Angesichts der (zerstörerischen) Energie, die die deutsch-jüdische Neurose hier entfesselt. Wie hier mit den Mitteln der Kunst formuliert wird, was sich das Festival insgesamt auf die Fahnen schrieb: Desintegration, also sich von diesen, von der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts formatierten Zuschreibungen zu emanzipieren.

Doch den Denkraum, den Teil eins eröffnete, schlägt Teil zwei sofort wieder zu. „Celan mit der Axt“ ist er überschrieben, und so ungefähr wird es dann auch. Der junge Schriftsteller Max Czollek, schickt einen Mann durch einen Horror-Parcours deutsch-jüdischer Nachkriegsgeschichte, der wohl ein Purgatorium sein soll. Aber schon nach fünf Minuten mit seiner Lehrplanerfüllungshaftigkeit zu nerven beginnt.

Die Existenz, die vom Blick der Anderen geprägt ist, führt zum Krieg gegen sich selber

Wir treffen Paul Celan, der bei einer inzwischen berüchtigten Lesung bei der Gruppe 47 vor deutschen Dichtern der Flakhelfergeneration „Die Todesfuge“ las und dafür verspottet wurde. Dann gibt es ein satirisches Reenactment des berühmten Interviews, das Günter Gaus 1964 mit der Philosophin Hannah Arendt führte, die gerade ihr Buch über den Jerusalemer Eichmannprozess veröffentlicht hatte. Was gerade dieses Gespräch zur Satire prädestiniert, bleibt offen. Von Arendts stupendem Mut, sich gegen sämtliche Konsens-Meinungen zu stellen, könnte sich eine Veranstaltung mit dem Anspruch, wie ihn die Radikalen Jüdischen Kulturtage formulieren, eine Scheibe abschneiden.

Stattdessen windet sich Schauspieler Till Wonka als grimassenschneidende Hannah Arendt gespreizt in einem Sixties-Sessel. Zuvor hat er bereits als ziemlich waschlappiger Paul Celan irritiert. Wie überhaupt die völlig empathielose und holzschnitthafte Inszenierung der jungen Regisseurin Sapir Heller Czolleks Text noch älter aussehen lässt, als er eh schon wirkt. Denn das großspurige Big-Name-Droping, wo natürlich auch Moses Mendelssohn und Rahel Varnhagen nicht fehlen dürfen, lässt keine Haltung erkennen.

Es dürfen auch Martin Walser und Ignaz Bubis nicht fehlen. Über den Auftritt Wonkas als der Kunstfigur, zu der Bubis die Fantasie Rainer Werner Fassbinders anregte, decken wir den Mantel des Schweigens. Aber fragen muss man schon, bei wem hier mit der Ausstellung solch fürchterlicher Klischees ein Blumentopf gewonnen werden soll. Jedenfalls macht dieser Abend genau das, was das Stück vom Juppi Ja Je Juden in aller Subtilität kritisiert. Sigh.

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