„Das alles ist wie Munition für mich“

Der US-amerikanische Pianist John Beasley spielt am Sonntag zum Abschluss des Jazzfests Berlin mit seiner Big Band Monk’estra

Der Pianist und Bandleader John BeasleyFoto: Greg Allen

Interview Jan Paersch

taz: Herr Beasley, der Pianist Thelonious Monk wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Sie führen zum Abschluss des Jazzfests Ihre Arrangements seiner Kompositionen auf. Was ist das Besondere an Monk?

John Beasley: Seine Verspieltheit und seine Kühnheit. Bei ihm klangen Dissonanzen ganz normal. Wenn du zum ersten Mal Monk hörst, fragst du dich: Was zum Teufel ist das? Du nimmst es gar nicht richtig ernst. Aber wer sich mit ihm beschäftigt, merkt, wie deep das geht. In den vierziger Jahren in New York City kamen alle großen Jazzmusiker zu ihm nach Hause, um ihm beim Spielen über die Schulter zu schauen. Er kombinierte Swing mit damals gängigen Harmonien. So klang damals niemand, er kam aus dem Nichts.

Warum spielen Sie diese Musik mit einer 15-köpfigen Band?

Das war eher Zufall. Ich wollte mit einer Big Band die Harmonien des 20. Jahrhunderts in einen neuen, dichten Klang fassen. I want it to groove hard – ich möchte, dass unsere Konzerte rauer klingen als die der üblichen Bläserensembles. Mit so vielen Leuten kann man experimentieren, sich austoben. Monk schrieb diese Musik, damit man dazu improvisiert und ihr seine eigene Persönlichkeit hinzufügt. Ich habe die Monk’estra-Arrangements mit den verschiedensten Besetzungen gespielt, mit Gruppen in Russland, den USA und Europa, und jedes Mal war es ganz anders. Nach Berlin werde ich mit meiner siebenköpfigen Band reisen; die anderen acht kommen aus Europa, etwa der deutsche Trompeter Till Brönner oder der schwedische Saxofonist Magnus Lindgren.

Sie geben auch Soloklavierkonzerte. Das ist eine andere Herangehensweise, als eine Big Band zu leiten, oder?

Musik machen heißt immer: im Moment sein. Das ist ein Zen-Moment, nicht nur bei Solokonzerten. Man muss die Ruhe finden, um den Traum zu hören. Meine Vorbereitung auf Konzerte bedeutet, dass ich Yoga mache, meditiere und viel lese. Und ich merke, dass ich immer mehr klassische Musik höre.

Sie komponieren instrumentale Musik. Kann auch diese Arbeit politisch sein?

Nun, die politischen Umstände in den USA, die Bewegung Black Lives Matter – das alles ist wie Munition für mich. So haben das auch Charles Mingus und Herbie Hancock gemacht, sie haben politische Jazzstücke geschrieben. Es muss hart gewesen sein, als afroamerikanisches Genie in den USA der 40er und 50er Jahren zu leben. Bud Powell und Miles Davis wurden von der Polizei zusammengeschlagen, Monk durfte nicht reisen und konnte nicht in Hotels übernachten. In der Popmusik scheint es heute eine Weigerung zu geben, den politischen Einfluss, den man hat, auch einsetzen zu wollen. John Coltrane, aber auch Bob Dylan und Joni Mitchell haben damit angefangen, aber der Kampf ist noch nicht zu Ende. Wir schienen all das hinter uns zu haben, und jetzt wiederholt sich die Geschichte.

Sie arbeiteten 14 Jahre lang als Arrangeur für die Castingshow „American Idol“. War das nicht unter Ihrer Würde?

Ich hatte nie das Gefühl, dass meine künstlerische Ader da­run­ter leidet, wenn ich kommerzielle Auftragsarbeiten mache. Für mich geht das Hand in Hand: Ich lerne davon, mich für alle Arten der Musik zu öffnen. Für „American Idol“ zu arbeiten war angenehm: Ich konnte die Arrangements an meinem Laptop entwickeln, egal wo auf der Welt ich gerade war. Aber es war auch eine Herausforderung, einfach zu schreiben und AmateursängerInnen Möglichkeiten zu eröffnen. Das konnte ich dann wiederum anwenden, wenn ich beispielsweise für ­Dianne ­Reeves Arrangements schrieb. Das rate ich allen meinen Studenten: Nehmt jeden Gig mit, den ihr kriegen könnt. Ihr werdet etwas davon haben, und wenn es nur der Kontakt zu anderen Musikern ist.

John Beasley

geboren 1960 im US-Staat ­Louisiana, schrieb seine erste Jazzkomposition im Alter von 14 Jahren. Mit 24 arrangierte er Musik für Fernsehshows, später für Hollywoodfilme wie „Erin Brockovich“, „Skyfall“ und „Findet Nemo“. Der Pianist besuchte nie eine Musikhochschule, tourte stattdessen mit Jazzgrößen wie Miles Davis, Sergio Mendes und Freddie Hubbard. Jährlich produziert er in einer anderen Stadt den International Jazz Day. Sein Monk’estra mit Gast Till Brönner an der Trompete spielt am 5. 11. um 22 Uhr beim Jazzfest Berlin im Haus der Berliner Festspiele.

Und wie war das, als Sie im Alter von 28 Jahren von Miles Davis angerufen wurden?

Sein Neffe sprach mich eines Abends nach einem Konzert mit meiner Band an. Also setzte ich mich zu Hause hin, schmiss die Drum Machine an und improvisierte dazu. Ich schickte Miles ein Tape und zwang mich dazu, nicht weiter darüber nachzudenken. Und eines Tages kam der Anruf. Eine heisere Stimme sagte: „John, you bad motherfucker, ich will, dass du in meiner Band spielst.“

1989 waren Sie monatelang auf Tour mit Davis.

Ich habe nie wieder jemanden erlebt, der sich seiner Musik mit so viel Hingabe gewidmet hat. Nach jedem Konzert hat er sich einen Mitschnitt des Abends angehört, um die Arbeit seiner Musiker am nächsten Tag kommentieren zu können. Er hat seine Show ständig verändert und verbessert. Wenn man in sein Hotelzimmer kam, lag die Trompete auf dem Sofa, und auf dem ganzen Boden waren Leinwände verteilt: Er malte, während er Musik hörte, die er lernen wollte. Danach sprach er mit seinem Schneider und gab neue Anzüge in Auftrag. Er hat 24 Stunden für die Kunst gelebt.