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Archiv-Artikel

Im Einzelhandel kämpft jeder für sich

Für heute und morgen sind Warnstreiks im Einzelhandel angekündigt. Deren Erfolg ist fraglich: Die Branche leidet unter Umsatzeinbußen, der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist gering, viele Angestellte fürchten um ihren Job

Von ROT

Wenn es heute oder morgen zu ersten Warnstreiks im Einzelhandel kommt, werden die Kunden das zunächst kaum spüren. „Unsere Aktionen richten sich nicht gegen die Kunden“, sagt Ver.di-Einzelhandelsexperte Achim Neumann. Zudem sei es schwieriger, 70 Filialen zu bestreiken als ein zentrales Lager. Die Geschäfte sind laut Einzelhandelsverband vorbereitet. Die Versorgung werde nicht beeinträchtigt, hieß es.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di fordert in der Tarifrunde 3,6 Prozent mehr Lohn und Gehalt für die 96.000 Beschäftigten der Branche. Dies sei eine reine Lohnrunde, so Gewerkschaftsmann Neumann. Die Arbeitgeber hingegen wollten ein Gesamtpaket schnüren, bei dem auch betriebliche Öffnungsklauseln nach unten – das sind die von CDU und FDP favorisierten „betrieblichen Bündnisse für Arbeit“ – und eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit eine Rolle spielten. Neumann: „Gegen ein solches Diktat müssen wir uns wehren.“

Das allerdings dürfte den Gewerkschaften schwer genug fallen: Die Branche leidet seit Jahren unter Umsatzrückgängen, die in Berlin nur durch die stark angewachsene Touristenzahl gebremst wurden. Auch ist ein Organisationsgrad von 10 bis 70 Prozent keine besonders gute Voraussetzung für einen Massenstreik. Zudem haben viele Beschäftigte Angst um ihren Job, und immer mehr Vollzeitstellen werden in Teilzeit- oder Mini-Jobs umgewandelt.

Ein weiteres Problem ist die Tarifbindung. Wie in anderen Branchen auch gehören die kleinen und Kleinstbetriebe nur selten den Arbeitgeberverbänden an, damit gelten in ihnen auch keine Tarifverträge. Dies betreffe 20 bis 30 Prozent der Beschäftigte, schätzt Neumann. Die großen, bekannten Ketten seien aber tarifgebunden, oder sie hätten so genannte Anerkennungstarifverträge abgeschlossen. Das heißt, dass der Tarifvertrag gilt, obwohl das Unternehmen nicht im Arbeitgeberverband ist.

Zudem gibt es Probleme, für die es keinen tarifvertraglichen, sondern allenfalls einen Schutz durch Betriebsräte gibt. So würden in Discountern Mitarbeiter aufgefordert, ihre Stundenzahl zu reduzieren, wenn das Geschäft nicht die Umsatzvorgaben erfülle, sagt Neumann. In diesem Fall würden die Verkäuferinnen zwar nach Tarifvertrag bezahlt – aber eben für weniger Stunden Geld kriegen. Problematisch seien auch unbezahlte Überstunden. So würden Beschäftigte mitunter eine halbe Stunde früher kommen oder später gehen, ohne dies als Arbeitszeit auszuweisen – weil im Betrieb eine entsprechende Erwartungshaltung existiere. Auch seien Taschenkontrollen und Testkäufe zur Überprüfung der Verkäuferinnen üblich. Neumann: „Die stehen massiv unter Druck.“

Für den 23. September kündigte Neumann eine „Solidaritäts-Aktion“ vor der Lidl-Filiale in der Heinrich-Heine-Straße in Mitte an. Damit wolle man die Kunden über die Situation im Konzern und über die Auseinandersetzungen in süddeutschen Filialen aufklären. Für die Aktion am Vormittag des 23. September hätten auch SPD- und Grünen-Politiker ihre Teilnahme angekündigt. ROT